Wohin du auch fliehst - Thriller
dann ein weiteres Mal, weil ich erst eine Minute nach der vollen Stunde damit angefangen habe. Dann noch einmal, weil es zwei Minuten weniger als sonst gedauert hat. Seit ich gestern von der Arbeit gekommen bin, habe ich bis zu dem Moment, in dem ich das Haus verlassen musste, unentwegt alles kontrolliert.
Es war bereits zehn vor acht, als ich es endlich aus der Haustür schaffte und schwer erleichtert war.
Den Besuch im Pub hatte ich bereits verpasst, aber ich würde sie noch einholen können – vielleicht gingen sie gerade zum Restaurant. Ich überlegte mir noch einmal, womit ich mich für meine Verspätung entschuldigen könnte, und lief schnell zur High Street, als Stuart auf mich zukam. Obwohl es dunkel war und ich einen langen schwarzen Mantel und einen Schal um den Hals trug, erkannte er mich.
»Hallo, Cathy. Gehst du aus?« Er trug eine dunkelbraune Jacke und irgendeinen unifarbenen Schal darunter. Es war kalt, und vor seinem Mund bildete sich eine Atemwolke.
Ich wollte nicht mit ihm reden. Ich wollte nur nicken und ihm unverbindlich zulächeln, doch er versperrte mir den Weg. »Ja«, sagte ich. »Auf eine Weihnachtsparty mit Kollegen.«
»Oh«, sagte er und nickte. »Das blüht mir nächste Woche. Vielleicht treffen wir uns später noch; ich gehe auch mit ein paar Freunden aus.«
»Das wäre nett«, hörte ich mich sagen, so als hätte eine Art Autopilot das Kommando übernommen.
Er lächelte mir freundlich zu. »Bis später dann!«, sagte er und ließ mich vorbei.
Ich spürte, dass er mir nachsah, als ich weiterging. Keine Ahnung, ob das gut oder schlecht war. Früher wäre es schlecht gewesen, wenn man mir so nachgeschaut hätte. In den vergange nen Jahren habe ich mich ständig beobachtet gefühlt und diesen Eindruck niemals abschütteln können. Aber diesmal war es irgendwie anders. Ich fühlte mich sicher.
So spät, wie ich gedacht hatte, war ich gar nicht dran, die Bürobelegschaft war im Dixey’s noch eifrig am Trinken. In dem Lokal herrschte reger Betrieb, obwohl es noch so früh war. Meine Kolleginnen waren bereits ziemlich beschwipst, laut, aufgedreht und leicht bekleidet. Ich muss in meiner eleganten schwarzen Hose und der grauen Seidenbluse wie ihre Anstandsdame, wie eine alte Jungfer ausgesehen haben. Und nicht unbedingt festlich.
Caroline, unsere Finanzdirektorin, schien das Bedürfnis zu haben, mir Gesellschaft zu leisten. Vielleicht fühlte sie sich selbst ein wenig fehl am Platz. Sie war als Einzige von uns verheiratet, ein paar Jahre älter als ich und hatte drei Kinder. Ihr Haar wurde langsam grau, genau wie meines, aber sie hatte es schlauerweise schokoladenbraun mit roten Strähnchen darin gefärbt. Das Einzige, wozu ich mich hatte durchringen können, war ein Kurzhaarschnitt, den ich mir einmal im Monat bei einer qualvollen Prozedur von der einzigen Friseurin verpassen ließ, die nicht mit mir quatschte, wenn sie mir die Haare schnitt.
Immerhin stellte Caroline mir nicht allzu viele Fragen. Sie plauderte, doch ich hörte ihr kaum zu. Trotzdem war Caroline keineswegs oberflächlich. Ich glaube, sie hatte bemerkt, dass ich mich in dieser Gesellschaft schwertat, und falls sie mich gefragt hätte, wie es mir gehe oder ob alles in Ordnung sei, wäre ich vermutlich zusammengebrochen.
Als wir schließlich zum Thai Palace gingen, setzte ich mich ans Ende des langen Tisches. Caroline nahm mir gegenüber Platz. Sie dachte vermutlich, dass ich einfach nicht mitten im Geschrei sitzen wollte, aber in Wirklichkeit war der Gedanke, in einem vollen Restaurant in der Mitte eines langen Tisches zu sitzen, beängstigend für mich. Am Ende des Tisches, in der Nähe der Tür, immer den Notausgang im Blick, konnte ich jeden sehen, der hereinkam, bevor ich selbst gesehen wurde. Ich konnte mich verstecken.
Währenddessen redeten die Mädchen lauter, als ich für angemessen hielt, und lachten über Dinge, die überhaupt nicht witzig waren. Alle waren schlank, hatten schlaksige Arme, große Ohrringe und glattes Haar. So war ich bestimmt nie gewesen, oder vielleicht doch?
Robin, der zwischen Lucy und Diane und gegenüber von Alisons beeindruckendem Dekolleté saß, fühlte sich sichtlich pudelwohl. Er hatte ein nerviges Lachen, und heute Abend war er noch lauter als sonst. Ich fand ihn einfach nur widerlich mit seinem glänzenden Gesicht und den gegelten Haaren, den feuchten Händen und seinen roten, wulstigen Lippen. Er hatte etwas Angeberisch-Arrogantes an sich, das immer ein Zeichen für zu
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