Wohin du auch fliehst - Thriller
gehört hatte.
So hatte alles angefangen. Ich tat etwas, weil ich es für eine gute Idee hielt. Die Wohnung abschließen ist doch eine gute Idee, oder nicht? Dann machte ich es aus irgendeinem Grund eines Tages nicht richtig, was nicht gut war, denn wenn man etwas Sinnvolles tut, sollte man es richtig machen, sonst bringt es nichts. Also fing ich an, mir vorzustellen, was alles Schreckliches passieren konnte, wenn ich es falsch machte oder es versaute, so wie ich schon so Vieles in meinem nutzlosen Leben versaut hatte.
Als ich meine Atemübungen also zum ersten Mal machte, lief es beschissen: Ich musste sie deshalb zwei Mal machen, scheiterte zwei Mal und musste dann zur Strafe drei Mal die Wohnung kontrollieren, um den Fehler wieder auszubügeln.
Das war beknackt, und ich fragte mich immer wieder, ob der Besuch bei einem Arzt und die erneute Kontaktaufnahme zur Ärzteschaft wirklich der richtige Weg waren. Es ging mir doch eigentlich ganz gut, oder? Ich lebte schließlich noch.
Ich versuchte es erneut vorm Schlafengehen, und beim zweiten Mal lief es gar nicht so schlecht. Ehrlich gesagt dachte ich beim tiefen Ein- und Ausatmen an Stuart, daran, wie er meine Hand gehalten hatte, mit mir auf dem kalten Fußboden gesessen und mit besorgtem Blick beruhigend auf mich eingeredet hatte. Ehe ich’s mich versah, klingelte der Küchenwecker, und ich hatte die drei Minuten hinter mich gebracht, ohne die Augen zu öffnen.
In jener Nacht schlief ich seit langem einmal wieder besser.
Ich legte Stuarts Zettel vor mich hin, setzte mich im Schneidersitz auf den Boden, lauschte kurz auf die Geräusche inner- und außerhalb der Wohnung, schloss dann die Augen und begann. Ein und aus. Ein und aus. Ich beschloss, dass es nur funktionierte, wenn ich mir vorstellte, dass Stuart bei mir war. Und wenn es funktionierte, musste es doch gut für mich sein, oder nicht? Also zog ich ihn in Gedanken vom kalten Fußboden hoch, ging mit in sein Wohnzimmer hinauf und entspannte mich auf seinem breiten, weichen Sofa. Die Sonne schien und fiel durchs Fenster auf sein Gesicht. Er hatte eine Hand auf meinen Oberarm gelegt und sagte, was er schon einmal zu mir gesagt hatte, sowie noch ein paar andere Dinge.
»Ich bin hier, es ist alles in Ordnung, du bist in Sicherheit. Atme jetzt ein. Und wieder aus. Und jetzt noch einmal: ein … und aus. Gut so, du machst das gut! Ein und aus.«
Fünf Minuten später öffnete ich die Augen und sah zum Küchenwecker hinüber.
Ich hatte verdammt noch mal vergessen, ihn zu stellen.
Mittwoch, 24. Dezember 2003
Es war fast zwei Uhr morgens, als ich nach Hause kam. Beinahe den ganzen Rückweg über hatte ich Begleitung gehabt: drei betrunkene Kerle und zwei ihrer Freundinnen torkelten in meine Richtung. Ich ging neben ihnen her und plauderte mit Chrissie, mit einem der Mädchen, das, wie sich herausstellte, eine Cousine von Sam war.
Der Weg über das letzte kleine Stück Queens Road war gar nicht so schlimm. Der Wind hatte ein wenig nachgelassen, und obwohl es bitterkalt war, hatte ich genug Wodka intus, um die schlimmste Kälte abzuhalten. Und mein Wollmantel war angenehm warm. Ich würde mir zu Hause eine schöne Tasse Tee machen und dann lange ausschlafen …, dachte ich.
Jemand saß vor meiner Tür und stand auf, als ich näher kam.
Lee.
»Wo warst du?«, fragte er.
Ich zog meinen Schlüssel aus der Handtasche. »Ich war aus«, sagte ich. »Ich hatte keine Lust, zu Hause zu bleiben. Wartest du schon lange hier?«
»Zehn Minuten.« Er gab mir einen Kuss auf die Wange. »Wollen wir reingehen? Es ist verdammt kalt hier draußen.«
»Warum hast du deinen Schlüssel nicht benutzt?«
»Du sagtest doch, ich dürfe das nicht, weißt du noch?«
»Was?«
»Du hast gesagt, ich soll deine Wohnung nicht betreten und deine Sachen durcheinanderbringen.«
»So habe ich das nicht gemeint. Natürlich darfst du meine Wohnung betreten.«
Kaum standen wir im Flur, drehte er mich um und drückte mich gegen die Wand, öffnete meinen Mantel und presste seinen Lippen auf meinen Mund. Sein Kuss war fordernd, trocken und schmeckte nach ihm, nicht nach Alkohol. Er war also nicht betrunken. Nur sehr ungestüm.
»Ich musste heute ständig an dich denken«, flüsterte er an meinem Hals, während seine Hände über mein Kleid, über den Satin glitten. »Dieses Kleid macht mich verrückt nach dir.«
Ich knöpfte seine Hose auf, löste den Gürtel und zog beides nach unten. Direkt hier im Flur, dachte ich. Warum auch
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