Wohin du auch fliehst - Thriller
Thema lag.
»Ich bin wohl ein bisschen beschwipst«, sagte ich lächelnd.
Er sah mich prüfend an.
»Nun, du hast schon ein wenig rote Wangen …«
»Sollen wir nach Hause gehen?«, fragte ich. Plötzlich wollte ich nicht mehr draußen unterwegs sein. Nach zwei Drinks war ich ehrlich gesagt zu nichts zu gebrauchen. Noch vor Jahren hätte ich die ganze Nacht hindurch trinken können und wäre am nächsten Tag trotzdem munter gewesen.
Draußen schlug mir die Kälte mit so einer Wucht entgegen, dass ich schwankte.
Er legte seinen Arm um mich. »Langsam. Alles in Ordnung?«
Es war nur ein winziges innerliches Zusammenzucken, das er kaum bemerkt haben dürfte. Ich wollte es – ich wollte ihn so sehr –, trotzdem hatte ich das Gefühl, als wehrte sich mein Körper gegen seine Nähe.
»Ich habe über das nachgedacht, was du mir vorhin zum Thema Kontakteknüpfen gesagt hast. Und darüber, dass ich vermutlich mehr Zeit zum Fortgehen hätte, wenn ich meine Zwangsstörung therapieren ließe.«
»Ja?«
»Ja. Und ich habe den Eindruck, dass deine Art, Kontakte zu knüpfen, weniger bedrohlich ist, als wenn es andere tun.«
»Meine Art? Soll das ein Kompliment sein?«
Ich lachte. »Vielleicht. Ich war nicht immer so«, sagte ich und klapperte ein wenig mit den Zähnen, als wir uns langsam den Weg durch die Menschenmenge zurück zur Talbot Street bahnten.
»Nein?«, sagte er lachend. »Warst du früher auch mal nüchtern?«
Ich versetzte ihm einen kleinen Stoß, sorgte dann aber gleich wieder dafür, dass er mich stützte und seinen Arm um mich legte. »Nein, ich war mal ein echtes Partygirl und jeden Abend unterwegs. Ich habe viel getrunken und war nie zu Hause. Echt dumm von mir.«
»Warum denn dumm?«
»Na ja, ich habe mich ständig in Gefahr gebracht, mich meist betrunken und bin dann bei irgendeinem Wildfremden in der Wohnung gelandet oder habe Leute zu mir eingeladen. Manchmal bin ich irgendwo aufgewacht, ohne zu wissen, wie ich dorthin gekommen bin. Von heute aus betrachtet kann ich kaum glauben, dass es mich immer noch gibt.«
»Ich bin froh, dass es dich noch gibt.«
»Ich wette, du wärst mir gerne damals begegnet, was?«, sagte ich scherzhaft.
Er drückte mich. »Ich bin froh, dass ich dir überhaupt begegnet bin.«
Oh, mein Gott!, dachte ich, bitte hör auf, so verdammt nett zu mir zu sein, das halte ich nicht aus, das verdiene ich gar nicht.
»Hör zu, ich war in der Psychiatrie. Zwei Mal. Ich finde, das solltest du wissen«, sagte ich.
»Nachdem du überfallen wurdest?«
»Das erste Mal war gleich danach. Man hat mich aus dem Krankenhaus entlassen, nachdem ich mich von den körperlichen Verletzungen erholt hatte. Ich glaube kaum, dass man sich damals Gedanken darüber gemacht hat, was wirklich in meinem Kopf los war. Ich habe trotzdem nicht richtig auf mich aufgepasst. Also habe ich in einer Nachtapotheke einen Aufstand gemacht und wurde von Männern in weißen Kitteln abgeholt. Keine Ahnung, wer das war.«
»Sanitäter vermutlich, vielleicht in Begleitung der Polizei«, sagte er.
»Danach ist ungefähr ein Jahr vergangen, bevor der Fall vor Gericht kam. Dann erlitt ich so was wie einen Rückfall; das war das zweite Mal.«
»Hast du angemessene Hilfe bekommen – Therapie?«
Ich zuckte die Achseln. »Was auch immer. Zumindest lebe ich noch. Ich habe eine ganze Menge durchgemacht. Eine ganze Menge.«
Er nickte. »Das sehe ich.«
»Ich wollte nur, dass du es weißt, für den Fall, dass …«, sagte ich.
»Für welchen Fall?«
»Falls das etwas ändern sollte.«
Wir standen vor unserem Haus. Er hielt mir die Tür auf, trat beiseite und ließ mich hinein. Im Flur machte er einen Schritt zurück und sagte ruhig: »Kontrolliere sie, aber nur einmal.«
Ich warf ihm einen Blick zu, der so viel sagte wie: Ich kontrolliere die Tür, so oft ich das will! Doch dann kontrollierte ich sie nur einmal. Und das eine Mal fühlte sich gut an, denn er war bei mir.
Er ging vor mir die Treppe hinauf. Vor meiner Wohnungstür blieb er stehen und trat beiseite, um mir nicht im Weg zu stehen. »Danke, dass du mit mir ausgegangen bist«, sagte er.
Ich stand einen Moment da, sah ihn an und spürte die Kluft zwischen uns, die ich überbrücken wollte.
Ich weiß nicht, wer den ersten Schritt gemacht hat – er oder ich –, doch plötzlich hielt er mich fest. Ich hatte meine Arme unter seiner Jacke um ihn geschlungen und drückte ihn, so fest ich konnte. Mit seiner großen Hand strich er mir über den Kopf, und
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