Wohin du auch fliehst - Thriller
kontrollieren und dann die Treppe hinaufzueilen. Der Drang, zurückzugehen und alles noch einmal zu kontrollieren, war stark, doch ich vertraute darauf, dass mich Stuarts angenehme Gesellschaft schon ablenken würde.
Er hatte seine Wohnungstür offen gelassen, aber ich klopfte trotzdem an. »Hallo?«
»Komm rein!«, hörte ich ihn rufen und folgte seiner Stimme in den hinteren Teil der Wohnung und in die Küche. Dort war es sehr hell, die Sonne schien durch die großen Erkerfenster ins Wohnzimmer. Er hatte es dekoriert, in der Ecke stand ein Weihnachtsbaum, und an den Fenstern hingen Lichterketten. Es sah gemütlich, einladend und festlich aus. Auf dem Couchtisch lag ein Stapel mit Sonntagszeitungen. Auf dem kleinen Küchentisch standen eine Teekanne, eine saubere Platte mit dampfendem Toast und ein Glas feine Orangenmarmelade.
»Du kommst gerade rechtzeitig!«, sagte er.
Er stellte zwei Teller auf den Tisch, ich nahm ihm gegenüber Platz, schenkte den Tee ein und goss nach und nach Milch in meine Tasse, bis er die richtige Farbe hatte.
Ich war so wahnsinnig glücklich, dass ich gar nicht mehr aufhören konnte zu lächeln. Jemanden so nah bei mir zu haben und mit ihm einen solchen Tag verbringen zu können, reichte dafür schon aus. Ich bekam kaum mein Frühstück herunter, so sehr strahlte ich. Dann riskierte ich einen Blick auf ihn, und er sah mich aufmerksam an.
»Du siehst glücklich aus«, sagte er neugierig.
»Das bin ich auch«, antwortete ich und lächelte ihn mit vollem Mund an, in dem sich ein Bissen Toast, Speck und triefendes Eigelb befand.
Aus irgendeinem Grund errötete er, und mir fiel der gestrige Abend wieder ein.
Plump wechselte ich das Thema und sagte: »Du bist ein verdammt guter Koch. Auch in lädiertem Zustand und mit schmerzender Schulter.«
»Ich habe heute Morgen lange nachgedacht«, sagte er.
»Worüber?«
»Was machst du an Weihnachten?«
Ich lachte schrill. »Nichts, genau wie letztes Jahr. Ich bleibe zu Hause und sehe mir irgendeine dämliche Weihnachtssendung im Fernsehen an.«
»Ich habe Al zum Mittagessen eingeladen. Er hat niemanden, mit dem er Weihnachten verbringen könnte. Möchtest du auch dazukommen? Wir könnten Weihnachten doch alle gemeinsam feiern. Was meinst du?«
»Hast du denn keine Familie oder sonst jemanden, mit dem du Weihnachten verbringen könntest?«
Kauend schüttelte er den Kopf. »Nicht direkt. Ich könnte zu meiner Schwester fahren, aber die lebt in Aberdeen. Ralphie ist wieder mit dem Rucksack irgendwo in der Weltgeschichte unterwegs. Außerdem muss ich morgen und am zweiten Weihnachtsfeiertag arbeiten. Ich kann von Glück sagen, dass ich an Weihnachten freibekommen habe.«
Ich trank meinen Tee aus und fragte mich, ob es unhöflich wäre, mir nachzuschenken.
»Das ist der Al, von dem du mir erzählt hast, oder? Der weltweit führende Experte für Zwangsstörungen? Und du willst, dass ich Weihnachten mit ihm verbringe?«
»Äh, ja. Und mit mir. Also, kommst du?«
»Das ist wirklich nett von dir. Darf ich darüber nachdenken?«
»Klar.«
Nachdem wir fertig gegessen hatten, setzten wir uns mit dem restlichen Tee ins sonnige Wohnzimmer. Ich ließ mich auf dem elfenbeinfarbenen Vorleger nieder, breitete die Sunday Times auf dem Boden aus und vertiefte mich ins Weltgeschehen sowie in die Traumata anderer Leute, in andere Leben.
Er setzte sich mit dem Telegraph aufs Sofa, las mir einzelne Passagen vor oder lachte über etwas, das er gerade gelesen hatte.
Als meine Beine einschliefen, faltete ich die Zeitung wieder ordentlich zusammen und setzte mich mit einer Zeitschrift neben ihn aufs Sofa. Darin befand sich ein Artikel über Zwangsstörungen. Normalerweise vermeide ich solche Artikel, weil sie mir viel zu nahe gehen, doch jetzt fand ich ihn faszinierend. Er handelte von berühmten Persönlichkeiten, die unter einer Zwangsstörung gelitten hatten, die oft fälschlicherweise als exzentrisches Verhalten ausgelegt worden war.
Ich zeigte ihn Stuart, er rückte näher an mich heran, sah mir über die Schulter und las mit. Ich spürte seinen Atem auf meiner Haut.
Ich war angespannt und fragte mich, ob er mich noch einmal küssen würde. Gleichzeitig überlegte ich, ob ich das ohne tröstlichen Alkohol im Blut verkraften würde. Dann stand er plötzlich auf, ging in die Küche und setzte noch einmal Teewasser auf. Genau in dem Moment, als die Sonne sich hinter einer Wolke versteckte und den Raum in Dunkelheit tauchte.
»Ich sollte jetzt gehen«,
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