Wohin mit mir
Seite, charmiert mit ihr. Abschließend sitzen wir noch in meinem Zimmer bei einem Glas Wein.
9. August
Anruf von Anna Chiarloni, der Literaturprofessorin, die mich 1987 zu einer Lesung in Turin eingeladen hat
te, in deren schöner Wohnung ich mehrere Tage verbrachte. Wie ich hat sie zwei erwachsene Söhne, wie ich ist sie geschieden. Sie erinnert mich daran, daß ich 1987 in Turin nichts mehr sehen wollte, kein Museum, keine Kirche, auch die Umgebung nicht. (Ich schrieb die erste Seite von »Ich bin nicht Ottilie«, meinem Abschiedsbuch von der DDR .) Und, fragt sie, wollen wir die Besichtigung nachholen, kommst du? Ich erzähle von meinem Kindeskind und von dem Lapplandbuch-Projekt. Sie beneide mich, sagt sie: doppeltes Glück, ein Enkelkind und Arbeit mit beiden Söhnen zusammen.
Allein am Meer mit Metropolitana und Ferrovia. Eine ähnliche Erfahrung wie mit Tobias in Ladispoli. Spät zurück. Ich stelle den Wecker, damit ich die Putzfrau einlassen kann.
10. August
Augusthitze, die Stadt wird immer heißer. Gelegenheit, kühle Museen aufzusuchen. Wie lange nehme ich mir das schon vor. Museo Nazionale Romano, Galleria Spada, Galleria Borghese, das Barracco am Corso Vittorio Emanuele, das Museo della Civiltà Romana. Und will ich nicht unbedingt den berühmten Marmor-Scorretti aus Afghanistan aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. sehen und im Museo Nazionale Etrusco di Villa Giulia den Sarkophag des Ehepaars? Von den Vatikanischen Museen ganz zu schweigen.
Mir fällt Goethe ein, der in der Backofenhitze des August 1787 Zuflucht in der Sixtinischen Kapelle fand.
Bereits im November 1786 war er mehrfach dort. Am 22. notiert er: Ich konnte nur sehen und staunen …, am 28.: Wäre nur ein Mittel sich solche Bilder in der Seele recht zu fixieren . Dann erhalten seine Malerfreunde Johann Heinrich Lips (Goethe wird ihn als Direktor der Zeichenakademie nach Weimar berufen) und Friedrich Bury (den er nach seinem Ziehsohn Fritz seinen zweiten Fritz nennt) vom Grafen Fries, der von Herbst 1786 bis Sommer 1787 Italien bereist, den Auftrag, Aquarellkopien in der Sixtina anzufertigen. Zu einer Zeit, da es die Fotografie noch nicht gab, war das Kopieren üblich. Leisten konnten es sich allerdings nur betuchte Leute. Fries war Kunstsammler und besaß zudem ein großes Vermögen. Der Kustode ward gut bezahlt , überliefert der seine Freunde begleitende Goethe, er ließ uns durch die Hintertür neben dem Altar hinein, und wir hauseten darin nach Belieben. Es fehlte nicht an einiger Nahrung, und ich erinnere mich, ermüdet von großer Tageshitze, auf dem päpstlichen Stuhle einem Mittagsschaf nachgegeben zu haben. In der Karwoche dann ist Goethe wieder in der Kapelle, wo der Papst mit den Kardinälen der Messe beiwohnte. Er berichtet: Die Kapelle selbst kenne ich recht gut, ich habe vorigen Sommer drin zu Mittag gegessen und auf des Papstes Thron Mittagsruhe gehalten und kann die Gegenstände fast auswendig … An anderer Stelle heißt es: ohne die Sixtinische Kapelle gesehen zu haben kann man sich keinen anschauenden Begriff machen, was Ein Mensch vermag.
Ich denke an meinen einzigen Rom-Tag, genau zweihundert Jahre später, an die zwei Stunden im April 1987 in der Sixtinischen Kapelle. Niemals zu vergessen, nicht zu wiederholen.
Schon mehrmals bin ich am Morgen mit dem Vorsatz, ein Museum zu besuchen, entschlossen losgegangen. Aber entweder haben mich meine Füße in den Park der Villa Borghese geführt. Alle Wege dort sind mir vertraut, ich kenne die Schattenbänke, kann stundenlang dort sitzen und bin in Lappland. Auf dem Rückweg, sind die Kirchentüren von Santa Maria del Popolo geöffnet, versäume ich die beiden Caravaggios nie. Oder die Füße lenken mich zur Piazza della Rotonda. Immer wieder die selben Orte. Meine Langsamkeit. Der Genuß, der in der Wiederholung liegt.
Das Innere des Pantheons. Stets ist es ein anderes Raumerlebnis. Das Licht, das aus der neun Meter großen runden Öffnung im Zenit der Kuppel fällt. Heute war es besonders schön, wie sich die Helligkeit auf geheimnisvolle Art in den Zonen des Halbdunkels des riesigen Runds verlor. Ich stand reglos. Es gab kein Zeitgefühl.
Auf meinen Rückwegen vom Pantheon sehe ich meist bei Bettina vorbei. Es ist schon zur Gewohnheit geworden, daß wir uns immer, wenn ich sie an der Piazza Montecitorio in ihrer Buchhandlung besuche, für eine Viertelstunde in ihr kleines Büro zurückziehen, freilich klingelt ständig das Telefon, und
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