Wohin mit mir
verlassen, auf ihre Landsitze oder in Urlaub fahren. Auch sie fahre mit ihrer kleinen Tochter ans Meer.
Die Casa mit ihrer Klimaanlage. Ich verlasse das Haus den ganzen Tag nicht. Lese erstmals am Bildschirm meines Laptops alles bisher in Rom Geschriebene durch. Ich würde es gern ausdrucken, das kann ich aber nur im Sekretariat. Eine unerklärliche Scheu hält mich davon ab. Ich lese ein zweites Mal, es sind noch sehr unfertige Texte. Wie wird sich ihr Verhältnis zu den Bildern gestalten.
Mit einemmal ein Entschluß. Ich überspiele die Texte auf eine Diskette. Stecke sie in einen Umschlag, adressiere sie nach Roknäs in Nordschweden. Eine zweite Diskette nach Berlin? Nein, das hat Zeit, ich denke an den Umzug und die Einrichtung des Büros. Halte den Umschlag in der Hand, zögere. Dann aber, ehe ich es mir anders überlege, laufe ich in der Mittagshitze zum Postkasten und werfe die Sendung ein.
13. August
6 Uhr 17 geht heute die Sonne auf, 20 Uhr 15 ist Sonnenuntergang.
Ein freier Tag. Elf Uhr bin ich mit Andreas an den Vatikanischen Museen verabredet. Im Gespräch wird uns die Zeit in der Warteschlange nicht lang.
Ausschließlich Raffaels wegen sind wir gekommen. Zuerst die Wandmalereien in der Stanza della Segnatura und in den Loggien des Vatikans. Im Herbst 1508, als Fünfundzwanzigjähriger, hat Raffael mit dieser Arbeit begonnen. Als Zweiunddreißigjähriger trug er die Last der Verantwortung als Bauleiter der Peterskirche (von Papst Leo X . dazu ernannt) und zugleich die des Konservators der antiken Denkmäler, mit deren
Ausgrabung und archäologischen Aufnahme man gerade begann. Mit nur siebenunddreißig Jahren starb er.
Sein großes Gemälde »La Trasfigurazione«, die »Verklärung Christi«, an dem er bis zu seinem Tod gearbeitet hat. Langes Schweigen. Das Bild ist restauriert. Das ungeheure Leuchten der Farben. Die angenehme Stimme des Fachmanns, der sich über Jahre mit Raffael beschäftigt hat. Austausch. Fragen. Goethe, der vom herrliche Bild der Transfiguration spricht, die vielfach getadelte Zweiteilung des Bildes als Einheit sieht, sie vehement verteidigt. Wundersam bleibt es indes immer , schreibt er, daß man an der großen Einheit einer solchen Konzeption jemals hat mäkeln dürfen und nennt Raffaelo di Santo einen gottbegabten Mann .
Dieses Blau bei Raffael, ich habe es von seiner Sixtinischen Madonna viel gedämpfter und zurückhaltender in Erinnerung. Erzähle, wie ich im Mai 1965, wenige Tage vor der Geburt meines ersten Sohnes, zwei Stunden in der Dresdner Galerie vor diesem Bild saß, bis heute kann ich es in allen Einzelheiten vor mein inneres Auge rufen. In der Galerie Alter Meister in Dresden zu arbeiten, sei sein größter Wunsch, sagt mein Begleiter, als wir die Vatikanischen Museen verlassen. (Sein Wunsch wird sich erfüllen, wenige Jahre später wird er Leiter der Galerie Alter Meister in der Dresdner Gemäldegalerie.)
14. August
Am Nachmittag überraschend Joachims Anruf. Meine vor zwei Tagen in den Briefkasten in der Via del Ba
buino geworfene Diskette ist bereits in Roknäs angekommen. Er habe die Texte ausgedruckt und seiner Frau am Feuer vorgelesen. Es sagt nicht, ob sie ihm gefallen haben, und ich zweifle, ob es richtig war, diese rohen, noch unfertigen Texte schon aus der Hand zu geben. Aber er hat viele Ideen; ich spüre, unser Projekt nimmt langsam Gestalt an. Du baust die Straßen und Wege, sagt er, ich die Kreuzungen und Bilder am Wegrand, der Dritte im Bunde, mein Bruder, sorgt für die funktionierenden Signale und für die logische Beschilderung.
15. August
Ein Feiertag: Ferragosto, Mariä Himmelfahrt. Ich wache gegen 6 Uhr auf. Ohne zu frühstücken laufe ich los. Ein Morgengang durch Rom. Kaum Menschen. Wenig Verkehr. Ist es die Frühe? Oder hat Rom sich in der Tat geleert? Das Angenehme, nicht ständig auf den Strom der Fußgänger achten zu müssen. Die Augen können wandern. Die Fassaden der Häuser, an denen ich so oft vorbeiging. Ihre Vielgestaltigkeit. Das Braun, Gelb, Ocker, Rot, die Skala der warmen Farben, das dunkle Holz der Fensterläden. Alles in ein unvergleichlich schönes Morgenlicht getaucht. Ein leichter Luftzug, fast ein kleiner Wind, sanft weht er; er scheint es zu sein, der die Gerüche des üppigen Grüns in den Stadtgärten über die Mauern wirft. Die klaren, bewegten Wasser der Brunnen, deren Plätschern heute zu hören ist. Dankbarkeit in mir.
Gegen elf bin ich zurück. Frühstücke. Rufe dann in Berlin an.
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