Wohin mit mir
der Casa di Goethe sind. In den Pausen trinken wir einen Kaffee zusammen. Die weißen Handschuhe, mit denen Andreas arbeitet. Er hat Kunstgeschichte studiert, schreibt seine Dissertation über die Farben bei Raffael. Sein spannendes Erzählen. Meine Neugier. Einmal liegt ein weiteres Paar weißer Handschuhe neben ihm. Ich verstehe sofort. Ich darf mit in das Kabinett. Originale Zeichnungen von Goethe, Tischbein, von Philipp Hackert. Der Zeichenschrank mit seinen großen Fächern, die sich mit einem leichten Fingerdruck öffnen lassen, die Schätze im Seidenpapier, vorsichtiges Aufschlagen, Betrachten, Sich-Austauschen über das Gesehene.
Am Abend Einladung zu Fulio und seiner Frau nach Hause. Anna ist eine vorzügliche Köchin. An den Wänden Fotografien von Kindern und Enkeln. Und Fulio in Uniform, noch ohne seine Kriegsverletzung. Weder Anna noch ich kommen zu Wort. Fulio redet. Ist es sein Alter von fünfundsiebzig Jahren, das ihn zum unaufhörlichen Aufarbeiten seines Lebenslaufes drängt, als bliebe ihm keine Zeit mehr für diese Mitteilungen über sich? Nur das Thema Rom lenkt ihn ab, er schmiedet sofort Pläne, was ich noch sehen müßte.
7. August
Ein Brief vom Programmleiter meines Verlages, er gratuliert mir zum Hosenbandorden . Ein schlechter Scherz? Er kann nur den Platz auf der Spiegel-Liste meinen.
Macht er sich lustig über mich? Mir fällt das Regal mit den Bestsellern am Flughafen Stuttgart ein. Und die leichte Ironie, mit der neuerdings befreundete Kollegen und selbst Verlagsmitarbeiter mir begegnen. Literarische Qualität und Verkaufserfolg schließen einander aus, scheinen sie sagen zu wollen. Nicht ein einziges Wort habe ich mit dem Programmleiter über mein Buch gewechselt. Hat er es gelesen, zumindest hineingesehen? Ich fühle mich ausgesetzt, verhöhnt; tagelang geht mir der Hosenbandorden nicht aus dem Kopf. Um es loszuwerden, erzähle ich es der Pressefrau, als sie mich anruft. Einfach eine Entgleisung, es sei nicht die erste, Unseld sei unglücklich darüber, entgegnet sie, vergessen Sie es.
8. August
Ich habe Anna und Fulio in die Casa di Goethe eingeladen, führe sie durch das Museum. Anna hört zu, stellt Fragen. Fulio dagegen unterbricht mich ständig, erzählt von sich; immer die gleichen Geschichten. Anna wird plötzlich energisch. Fulio greift in die Räder seines Rollstuhls, beleidigt fährt er in den nächsten Raum. Vor Johann Heinrich Wilhelm Tischbein hält er an. Aber nicht das große »Goethe in der Campagna di Roma« interessiert ihn, er betrachtet die Zeichnungen über das Alltagsleben im Künstleratelier. Arbeiten mit Feder, Tusche, mit schwarzer Kreide, Bleistift, die kleinste 15 × 22,6 cm, die größte 41,5 × 26,6 cm. Ich sehe, er studiert die nebenstehenden Texte: »Goethe lesend, auf zurückgelehntem Stuhl« – »Zwei Männer auf dem Sofa« – »Abendgespräch« – »Goethe in seiner
römischen Wohnung mit seinen Wirtsleuten«. Als ich mit Anna den Raum betrete, fragt er, ob man wisse, wer diese Wirtsleute waren. Ja, ein sechsundsechzigjähriger Kutscher namens Sante Serafino Collina und seine sieben Jahre jüngere Frau Piera Giovanna de Rossi aus Gallese. Sie war die Köchin. Im März 1788, als Goethe sein Quartier innerhalb des Hauses veränderte, ließ er sich zudem von einer Magd und einem Ex-Jesuiten bedienen, der bei Tisch auftrug und die Kleider ausbesserte.
Fulio hat gut beobachtet, die Nachtmütze entdeckt, die Goethe auf der Zeichnung »Abendgespräch« trägt. Den geologischen Hammer auf einer anderen Zeichnung, ebenso die Vase, die brennende Öllampe – ich denke an die Vierte der Römischen Elegien – und das breite Bett mit den zwei Kissen, an der Wand rechts über dem Lager das Mädchenporträt im Profil. Erwartet er seine Geliebte, kommt sie nicht, lacht Fulio, will wissen, was es mit dem das verfluchte zweite Küssen auf sich habe, das der Zeichner Tischbein wie bei einem Comic als Spruchband aus Goethes Mund kommen läßt. Fulio macht sich lustig, daß Goethes erste Liebe in Rom ein Gipskopf gewesen sei. Er habe sich , liest er vor, den kollosalen Junokopf, wovon ein Original in der Villa Ludovisi steht, in den Saal gestellt. Es war meine erste Liebschaft in Rom, und nun besitz' ich sie. Keine Worte geben eine Ahnung davon. Er ist wie ein Gesang Homers.
Ob er den Gipskopf mit nach Deutschland genommen habe. Ich sehe den mir immer befremdlich großen Abguß in einer der vorderen Stuben am Weimarer
Frauenplan vor mir,
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