Wohin mit mir
Ewige Stadt ins Spiel. In Rom eine gemeinsame Wohnung. Eine für beide schwierige Beziehung. Die Trennung Ende 1962.
Die Arbeit am Roman-Zyklus »Todesarten«. 1967
wechselte Ingeborg Bachmann vom Piper Verlag zu Suhrkamp. Ihr neuer Verleger Siegfried Unseld drängt, aber immer wieder verschiebt sie die Abgabetermine. Über Jahre. 1971 dann erscheint »Malina«. Für mich war es damals, als ich es las, ein Buch über die Liebe, eines über das Verhängnis zwischen Mann und Frau; ein Buch, das die tödlichen Verhältnisse im Inneren eines Ich und im geschichtlichen Gelände zusammenführte. Als Buch über die Hölle bezeichnet die Ich-Figur im Roman es selbst und reflektiert den langen Prozeß der Entstehung: … der große Siegfried ruft mich, … ungeduldig hör ich seine Stimme: was suchst du, was für ein Buch suchst du? Und die Antwort im Traum-Kapitel lautet: Ein Buch über die Hölle. Ein Buch über die Hölle. Die Ich-Figur schreit diese Antwort auf der Spitze des Poles, von der es keine Wiederkehr gibt.
Ihre zunehmende literarische und persönliche Vereinsamung. Wird Rom, die Ewige Stadt, ihr zum Exilort? Ihr bitterer Satz von der ungeheuerlichen Kränkung, die das Leben ist . Sie schreibe , formuliert sie, gegen etwas . Gegen einen andauernden Terror. Man stirbt ja auch nicht wirklich an Krankheiten. Man stirbt an dem, was mit einem angerichtet wird.
Das Unglück in der Nacht vom 25. zum 26. September 1973. Sie muß im Bett mit einer brennenden Zigarette eingeschlafen sein. Die schweren Verbrennungen, die sie sich im Schlaf zuzieht. Dennoch ist sie am Morgen noch bei Bewußtsein. Gegen fünf Uhr ruft sie ihre Wirtschafterin Maria Teofili an, bittet diese, zu
kommen und eine Salbe mitzubringen, sie habe sich verbrannt. Halb sechs öffnet sie ihr noch die Tür. Auf dem Boden liegt ein verbrannter wollener Bettschal, und im Bad sind verkohlte Reste des Nachthemdes. Maria Teofili alarmiert sofort den Rettungswagen. Da sie in der Eile den Ausweis der Schriftstellerin nicht findet, greift sie nach der italienischen Ausgabe von »Malina«. Der Rettungswagen bringt die Verletzte in die Klinik Sant'Eugenio. Dreiundzwanzig Tage später, kaum mehr zu Bewußtsein gekommen, am 17. Oktober 1973 um sechs Uhr morgens stirbt Ingeborg Bachmann. An den Verbrennungen?
Die Akte über die Strafanzeige wegen Mordverdacht, die Freunde, unter anderem Hans Werner Henze, bei der Prokuratur in Rom einreichen, wird am 15. Juni 1974 mit der Bemerkung geschlossen: deceduta a seguito di gravi ustioni riportate accidentalmente . Das heißt, es liegt kein Fremdverschulden vor, es war kein Mord, sondern ein Unfall. Durch Alkohol- und Medikamentenkonsum wird eine herabgesetzte Schmerzempfindung konstatiert, die erklärt, daß die schweren Verbrennungen im Schlaf geschehen konnten.
Fremdverschulden, ein juristischer Begriff. Merkwürdig, führt er nicht in der Nähe des Bachmannschen Anliegens: die tödlichen Verhältnisse simultan im geschichtlichen Raum und zugleich im Inneren eines weiblichen Individuums anzusiedeln. Im Traum-Kapitel von »Malina« wird es explizit ausgesprochen: für mich bin ich ganz sicher, daß in den Träumen alles drin steht, was an Furchtbarkeit in dieser Zeit geschieht, und daß wir alle ermordet werden.
In Klagenfurt, im Dreiländereck von Slowenien, Italien und Österreich geboren, erlebt Ingeborg Bachmann als Zwölfjährige den Einmarsch der Hitlertruppen. Dieser Moment habe ihre Kindheit zertrümmert , sie hellsichtig gemacht für das, was Krieg bedeutet: diese Angst mitten im Frieden , habe sie nie wieder verloren. Im Nachkriegsdeutschland wird sie Zeugin von Restauration, Wiederaufrüstung und Bedrohung durch den Kalten Krieg, sie erlebt die Schuldverdrängung und Leugnung der unter der Naziherrschaft an den Juden begangenen Verbrechen sowohl in Österreich als auch in der frühen Bundesrepublik. Im Sommer 1973, wenige Monate vor ihrem Tod, reist sie durch Polen und besucht das Konzentrationslager Auschwitz. Ich bin eine Polin , schreibt sie da.
Die Last der Geschichte, die das Individuum nicht zu tragen vermag. Der Verlust der Liebe als Metapher für den Zustand der Welt. Die Unmöglichkeit, ein Buch zu schreiben, von dem die Ich-Erzählerin in »Malina« spricht, und das den Titel »Exsultate Jubilate« tragen soll. Eines Tages wird es das geben müssen, ein herrliches Buch auf Erden, ein Buch, das die Welt zum Guten verändert.
23. August
Bei Bettina an der Piazza Montecitorio. Wir sitzen
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