Wohin mit mir
in ihrem kleinen Büro mit den durchlässigen Wänden. Bettina ist seit so vielen Jahren in Rom, sie muß Ingeborg Bachmann gekannt haben. Natürlich, sagt sie, sie war oft in der Buchhandlung. Sie habe sehr schlecht gesehen, aber keine Brille aufgesetzt, zuweilen habe
sie die Treppe kaum gefunden. Nein, erwidert sie, Gespräche habe es nicht gegeben, Ingeborg Bachmann sei sehr abgegrenzt gewesen.
24. August
Neuen Zwieback und Tee gekauft. Noch immer die Magenverstimmung. Bachmann-Lektüre. Das Leben ist versunken. Nur der Text zählt. Er ist der Gedächtnisraum; die Bergung der Opfer in der Sprache.
25. August
Zum Abendessen mit Ursula Bongaerts und Bettina Bolli auf der Piazza Sant'Ignazio verabredet. Nach einer Woche mit Tee und Zwieback Vorfreude auf die erste vernünftige Mahlzeit.
Ich bin zu früh. Sant'Ignazio, die nach Il Gesù zweitgrößte Jesuitenkirche Roms. Ich stehe im Zentrum des Kirchenschiffs auf einer runden Marmorscheibe, es soll der beste Standpunkt sein, um das Geschehen auf dem barocken Deckenfresko in der Scheinkuppel zu betrachten: der Einzug des heiligen Ignatius von Loyola in den Himmel.
Wieder draußen. Noch immer Zeit. Der Blick auf den Platz, Palazzetti im Rokoko-Stil, von den Bewohnern Roms wegen ihrer geschwungenen Form canterani , Kommoden, genannt, umstehen ihn wie die Sätze eines Musikstücks. In der von der Hitze flirrenden Luft scheinen sie sich zu bewegen. Eine optische Täuschung, nein, in der Tat, sie schwingen.
Der Tisch im Freien, weiß gedeckt. Die beiden Frauen. Sie sind hier gut bekannt. Der Handschlag des Wir
tes. Seine Weinempfehlung. Zwei Ober umschwirren uns. Die italienische Speisefolge, mehrere Gänge. Am köstlichsten der Fisch; Doraden, die der Wirt vor unseren Augen entgrätet und in Stücken auf unsere Teller legt. Noch gegen Mitternacht ist es lau. Mein Magen ist freundlich, ich genieße das Essen, den Wein, das Gespräch. Denke an Friedrich Nietzsche, der sich in Rom zehn Jahre jünger fühlte als es erlaubt wäre. Ich esse hier , schreibt er in einem Brief, mit der allerheitersten Verfassung der Seele und Eingeweide. Dem kann ich zustimmen. Und der uns umgebende architektonische Raum. Mit der Veränderung des abendlichen Lichts offenbart das Ensemble der Palazzetti immer neue, überraschende Schönheiten; das musikalisch heitere Schwingen hält den ganzen Abend unvermindert an und verwandelt mir die Piazza Sant'Ignazio in einen zauberischen Ort.
Das Geschenk Rom. Ich habe das Gefühl, an den Schnüren der Geschenkverpackung zu ziehen und sie langsam zu lösen.
26. August
Die Vorbereitungen für Goethes 250. Geburtstag laufen auf Hochtouren. Der Pappmaché-Goethe steht weithin sichtbar auf dem Balkon, neben ihm Faustina. Ein großes Fest soll es werden, in allen Räumen des Museums. Auch der nicht zur Casa di Goethe gehörende Innenhof ist einbezogen. Dort soll am Morgen des 28. August auf Goethe angestoßen werden. Als ich erfahre, daß Goethe höchstpersönlich anwesend sein wird – ein junger Schauspieler im historischen Kostüm
wird ihn mimen –, weiß ich, diesem Fest werde ich fernbleiben. Diese in Mode gekommene Phantasielosigkeit. Goethe ist mir in so vielen Gestalten nah, daß ich es mir schwer erträglich ist, ihm, dem Toten, in dessen Haus ich lebe, in der Gestalt eines Schauspielers zu begegnen. Ich versuche vorsichtig, es Frau Bongaerts nahezubringen. Sie versteht es, ich bin für den 28. August aus der Pflicht entlassen.
27. August
Seit vierzehn Tagen kein Tropfen Regen, die Rasenflächen in der Stadt sind verdorrt, auch die grünen Flächen im Park der Villa Borghese sind gelbbraun und schmutzig.
Ein Brief von Joachim; die Arbeitsnächte in der Maschinenhalle in Roknäs seien rar. Das Kind. Die Frau. Schwiegereltern und Schwager sind zu Besuch.
Fotos vom Kindeskind liegen bei. Noahs neugieriges Gesichtchen. Mit der Helligkeit beim Schlafen habe er kein Problem. Mit den Mücken schon eher. Die Fenster seien gut. Viereinhalb Monate ist er jetzt. Wie lange habe ich ihn nicht gesehen.
28. August
In der Nacht ein Knall, ich wache auf. Ohrenbetäubender Lärm. Die Alarmanlage in der Casa di Goethe heult. Ebensolcher Lärm auf der Straße. Ich reiße die Balkontür auf, von der Piazza del Popolo strömen Menschenmassen in die Via del Corso, fast alles junge Männer, Singen, Fahnenschwenken. Feuerwerkskörper steigen
hoch. Das Ende eines Fußballspiels, die Fans vom römischen Klub Lazio. Mit Rasseln und Gesang
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