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Wohin mit mir

Wohin mit mir

Titel: Wohin mit mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Damm
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sich. Man müßte mit tausend Griffeln schreiben, was soll hier eine Feder, und dann ist man Abends müde und erschöpft vom Schauen
und Staunen. Er werde wortkarg  … wo ein Tag so viel sagt, daß man von dem Tage nichts zu sagen wagen darf. Zuweilen zeichnet er auf seinen Spaziergängen, auch die Malerfreunde halten Gesehenes fest. Am Abend dann werden in der Casa Moscatelli die Ergebnisse begutachtet, gegenseitig gibt man sich Korrektur.
    Von ausgewählter und ausgesprochener Abgeschiedenheit , von einer wohlbekannten Einsiedelei in der er lebe, ist die Rede. Goethe begrenzt seinen Umgang. Da ist zunächst Tischbein, dessen Zeichnungen zu seinem »Götz« ihm gefallen haben und dem er über Prinz August von Gotha ein Rom-Stipendium verschafft hat. Da sind die weiteren Hausgenossen, die Maler Lips, Bury und Johann Georg Schütz. Dann Heinrich Meyer, der Kunstwissenschaftler, der Dichter Karl Philipp Moritz, später kommt der Komponist Kayser hinzu. Mit der Malerin Angelika Kauffmann verbringt er seine Sonntage. Er sucht die Nähe des um Jahrzehnte älteren Hofrat Reiffenstein, der vermitteln, Türen öffnen kann und die jungen Leute nach Frascati in sein am Nordhang der Albaner Berge gelegenes Haus einlädt.
    Tischbein beginnt mit seinem großen Gemälde »Goethe in der Campagna«, Alexander Trippel schafft im Auftrag des Grafen von Waldeck seine Büste. Goethe tut nichts dawider. Auch in die römische »Gesellschaft der Arkadier« läßt er sich aufnehmen. Natürlich weiß jeder in diesen Kreisen, wer er ist. Dennoch besteht er darauf, daß sein Name nicht ausgesprochen wird. Von einem grillenhaften Halbinkognito spricht Goethe selbst. Reiffenstein, dem Möller nicht über die Lippen will, nennt ihn daher scherzhaft Baron gegen Ron
danini über (Goethes Postadresse lautet bey Sig. Tischbein, dem Palazzo Rondanini gegenüber ).
    Warum dieses grillenhafte Halbinkognito selbst im engen Freundeskreis? Seit dem Erfolg des Romans »Die Leiden des jungen Werthers« kennt man seinen Namen in ganz Europa. Allein vier Übertragungen in die italienische Sprache erscheinen zwischen 1782 und 1804. Hier sekkieren sie mich mit den Übersetzungen meines Werthers, heißt es am 1. Februar 1788, und zeigen mir sie und fragen, welches die beste sei … Von einem Unheil , das ihn verfolge , spricht er. (Die poetische Version dieser Klage liefert Goethe Jahre später in der Urfassung seiner Zweiten Römischen Elegie: Ob denn auch Werther gelebt? Ob denn auch alles fein wahr sei? / Welche Stadt sich mit Recht Lottens der Einzigen rühmt? / Ach wie hab ich so oft die törigten Blätter verwünschet, / Die mein jugendlich Leid unter die Menschen gebracht. / Wäre Werther mein Bruder gewesen, ich hätt ihn erschlagen, / Kaum verfolgte mich so rächend sein trauriger Geist … )
    Schutz also vor zudringlicher Neugier. Sein Inkognito bringe ihm Vorteile , schreibt er aus Rom, er entgehe der unendlichen Unbequemlichkeit, von sich und seinen Arbeiten Rechenschaft geben zu müssen . Er will nicht in überwundene Lebensphasen zurückgezogen werden, weder in die seiner frühen Wetzlaer und Frankfurter Zeit, noch in die seines ersten Weimarer Jahrzehntes, wo er, in Ämter und Regierungsgeschäfte eingebunden, sich wie ein Vogel der sich in Zwirn verwickelt hat empfindet, ich fühle, dass ich Flügel habe und sie sind nicht zu brauchen .
    Das Hintersichlassen all dessen. Rom als Freiheit, als Aufspannen der Flügel, als Zurückfinden zu sich selbst und seiner künstlerischen Kreativität. Sein Wunsch nach Anonymität ist der nach geistiger Ökonomie, nach Konzentration auf das Wesentliche, nach dem Ausschöpfen des Augenblicks; das Abgeschirmtsein bringt ihm die Klarheit und Ruhe , in der er in Rom lebt.
    Bereits kurz nach der Ankunft heißt es, er zähle seinen zweiten Geburtstag … , eine wahre Wiedergeburt, von dem Tage, da ich Rom betrat . Im Laufe seines Aufenthaltes berichtet er immer erneut nach Weimar: von innen heraus sei er umgearbeitet …, bis aufs innerste Knochenmark habe er sich verändert … , auf seine vorigen Begriffe sehe er wie auf Kinderschuhe zurück , wirklich umgeboren und erneuert und ausgefüllt sei er. Gleichzeitig wird er nicht müde zu betonen, daß diese Wandlung ein Prozeß sei, der Zeit brauche und noch nicht abgeschlossen sei. Ist ursprünglich von September 1787 als Termin seiner Rückkehr nach Thüringen die Rede, so verlängert er seinen Aufenthalt bis zum April 1788. Seine Begründung: Meine

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