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Wohin mit mir

Wohin mit mir

Titel: Wohin mit mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Damm
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Piazza in Piscinula das Ristorante Comparone mit dem rumänischen Kellner, auch hier sind alle Tische besetzt, fröhliche Stimmen, Ge
lächter, Hundegebell. Es geht auf Mitternacht zu und ist noch immer heiß. Als wir zur Isola Tiberina kommen – hier teilt sich der Tiber in zwei Arme –, weht uns ein kleiner Luftzug entgegen. Wir bleiben auf der Brücke stehen. 62 nach Christus ist der Ponte Fabricio erbaut und im Kern noch original erhalten. Vergeblicher Versuch, sich das Zeitmaß zu vergegenwärtigen. Und, wie schon mehrfach in der Begegnung mit der Antike, auch in dieser Sommernacht auf der Tiberinsel das Gefühl, die Vergangenheit blickt verachtend und mitleidig auf uns Heutige.
    Die Lichter auf der Brücke spiegeln sich im Fluß. Der niedrige Wasserstand, an den Rändern ist der Tiber häßlich braun und ausgetrocknet; kaum vorstellbar, daß Goethe darin gebadet hat.
     
    19. August
    Die Signalexemplare von »Christiane Goethe. Tagebuch« und dem Essayband »Atemzüge« sind gekommen. Beide Bücher sind schön geworden.
    Ich erinnere mich an den Streß mit Christianes Tagebuch. Ich wollte es, wenn überhaupt, kommentarlos ans Ende meines Buches stellen. Aber Siegfried Unseld bestand auf einer gesonderten Publikation, reich illustriert und ausführlich kommentiert. Ich war einfach zu erschöpft, um einen Neuansatz zu finden, lustlos quälte ich mich. Der Text war danach. Mehrfaches Überarbeiten. Ohne die Hilfe meiner ehemaligen Lektorin vom Aufbau-Verlag und die von Tobias, der alles in den Computer gab, hätte ich es nie geschafft. Endlich die Abgabe des Manuskriptes auf Diskette. In der
kurzen Zeitspanne zwischen der Rückkehr aus Lappland und dem Aufbruch nach Rom dann kamen die Fahnen. Mit Kurier wurden sie gebracht. Der Schock bei der Durchsicht. Der Verlag hatte Veränderungen vorgenommen, die dem Inhalt völlig zuwider liefen, unter anderem waren alle kursiven Stellen weggefallen. Meine Nerven lagen blank. Ich rief den Herstellungsleiter an, ein heftiges Hin und Her, schließlich sein Einlenken, seine Versicherung, alle Veränderungen würden rückgängig gemacht; wir gingen jede Seite einzeln durch; ein Vierstundentelefonat.
     
    20. August
    Die wunderbar leere Stadt. Auch in der Casa di Goethe wenige Besucher. Zuweilen sitze ich am Morgen im hintersten Raum des Museums in der Stille und arbeite. Wenn Besucher ihn betreten, spiele ich eine abwesende, in Notizen versunkene Aufsichtsperson, rühre mich nicht. Meist funktioniert es, die Stimmen dämpfen sich sogar. Mehrmals aber werde ich Zeugin empörter Ausbrüche über die Sonderausstellung zu Goethes Frauen anläßlich seines 250. Geburtstags. Der spanische Bildhauer Andreu Alfaro hat aus filigranen Metallstäben und Metallröhren abstrakt figurative Plastiken geschaffen. Ohne auf die Beschilderung zu achten, habe ich sie sofort erkannt: die erdverbundene Christiane, die hochgeistige Charlotte, die himmelstürmende Bettine, die sensible, in sich gekehrte Cornelia. Die Spannung zwischen plastischer, raumgreifender Form und linearer Kontur. Ein zeichnerischer Gestus liegt den reduzierten Skulpturen zugrunde; mit wenigen Li
nien hat Alfaro das Wesen erfaßt. Ich liebe diese Porträts. Zuweilen begrüße ich sie am Morgen, wenn ich die Alarmanlage entsichere.
    Ich bin erstaunt über die Heftigkeit der Schmähreden. Ihr Tenor: moderner Unsinn sei es, nicht unser Goethe. Diese dumpfe mißverstehende Inbesitznahme, dieses anmaßende unser Goethe; es begegnet mir immer wieder. Auf meinem Stuhl mit dem Rücken zu den Empörten bin ich zuweilen versucht, mich einzumischen, aber ich versage es mir. Den Stimmen nach sind es meist ältere Herrschaften, vermutlich jene beflissenen Bildungsbürger, die ich aus Lesungen kenne. Aber sind sie mir nicht lieber als die Vertreter der jüngeren Generation, die Goethe vom Lehrplan der Schulen streichen und sich in der Pose der Goethe-Ignoranten gefallen.
     
    Allabendlich gehe ich zum Monte Pincio, wo Fulio und Anna schon warten. Stets haben sie ihr Auto in der Nähe, und oft wollen sie mir etwas zeigen; aber ich bin überfüllt mit Rom-Eindrücken. Zuweilen nehme ich einen anderen Weg, ich brauche das Alleinsein am Abend, um im Kopf zu bewegen, was ich anderentags schreiben will.
     
    Samstag, 21. August
    Die Leiterin der Casa di Goethe lädt mich zu einem Ausflug ein. 40 Grad sind für Rom angesagt. Wir fahren durch endlos gleichförmige Neubauviertel. Die Tristesse, von 35% Jugendarbeitslosigkeit spricht sie, in Neapel

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