Wohin mit mir
ziehen sie den Corso entlang, kein betrunkenes Grölen, wie ich es in Berlin und in Hamburg auf Bahnhöfen mehrfach erlebt habe; alles wirkt hier in Rom friedlich, aber eben in typisch südlicher Lautstärke. Die alles übertönende Alarmanlage, ich renne in den Flur, halte mir die Ohren zu, stelle sie aus. Rufe aufgeregt den für die Casa di Goethe zuständigen Sicherheitsdienst an, die Sistemi di Sicurezza. Mein schlechtes Italienisch. Aber das englische football genügt. Keine Beunruhigung, heißt es, es seien die Feuerwerkskörper, ich solle abwarten, bis der Zug vorbei sei, und dann die Anlage wieder aktivieren. Anderthalb Stunden muß ich warten. Dann schalte ich sie wieder ein. Alle drei Zonen bleiben rot. Was soll ich tun? Ich rufe erneut an. Mürrisch tönt es aus dem Hörer; ich habe den Diensthabenden in der Zentrale offenbar im Schlaf gestört: mehrmals versuchen, sagt er. Gegen drei Uhr am Morgen erscheint endlich bei allen drei Zonen das grüne Licht. Ich atme auf, lege mich schlafen. Als ich um halb acht am Morgen in den Flur komme, sind alle drei Zonen wieder rot. Panik. Ich laufe durch die Museumsräume, alles ist in Ordnung. Der Jubilar ist ungeschützt in seinen 250. Geburtstag gegangen, ich entschuldige mich bei ihm. (Die Computersteuerung sei ausgefallen, wird es Tage später heißen).
Das große Fest zu seinem 250. Geburtstag in der Casa di Goethe. Bereits gegen 9 Uhr, eine Stunde vor Öffnung, als ich das Haus verlasse, steht die Treppe voller Menschen, ebenfalls der Innenhof. Und als ich am
Abend gegen neun Uhr zurückkehre, ist immer noch Leben in allen Räumen des Museums, in der Bibliothek, in den Büros. Die Mitarbeiter erzählen, ein großer Ansturm, meist Italiener, viele Kinder darunter, ein heiteres, neugieriges Annehmen. Viele sind zum ersten Mal da. Der Papp-Goethe auf dem Balkon hat seine Wirkung getan. Erst um Mitternacht verlassen die letzten Besucher die Casa di Goethe. Das Team um Frau Bongaerts ist glücklich, die viele Arbeit hat sich gelohnt. Die römische Presse überschlägt sich. Auch für die deutschen Leser wird es in der »Welt« einen großen Artikel geben.
29. August
Gestern den Tag im Park der Villa Borghese verbracht, im Nordwesten, noch jenseits der Piazza Firdusi, dort, wo auf der weiten Rasenfläche die uralten knorrigen Platanen stehen und die Leute ihre Hunde frei laufen lassen. Im Schatten unter einer der Platanen gelegen.
Goethes »Italienische Reise«. Obgleich Rom sein Sehnsuchtsziel ist, läßt er sich Zeit. Bis zur Ankunft vergehen siebenundfünfzig Tage. Nur dreiundzwanzig davon verbringt er in der Postkutsche. Er reist mit der gewöhnlichen Post. Und ohne viel Gepäck. Mit Mantelsack und Dachsranzen verläßt er Karlsbad, kauft sich in Regensburg noch ein Coffergen , um darin seine Manuskripte zu verstauen. Er will sich frei bewegen können. Daher auch sein Inkognito, die selbstgewählte soziale Zurückstufung zum Kaufmann Möller aus Leipzig . Er ist um Unauffälligkeit bemüht. Paßt sich selbst in der Kleidung an. Ich sah mir ab, wie sich ein
gewisser Mittelstand hier trägt , berichtet er aus Verona, und lies mich völlig so kleiden.
So mag er auch in Rom angekommen sein. Auch hier seine kluge Entscheidung: eine Wohngemeinschaft mit etwa gleichaltrigen Künstlern. Der muttersprachliche Umgang bedeutet eine große Entlastung bei der Fülle der neuen Eindrücke, die auf ihn einstürmen. Und für sein leibliches Wohl ist gesorgt, die Kost der aus dem nördlichen Latium stammenden Kutschersfrau sagt ihm zu.
Wie nun sieht sein Tag in Rom aus? Am Morgen arbeitet er in seinem Stüpgen an seinen Dramen. Abends, beim Schlafengehen bereitete ich mich aufs morgende Pensum, welches denn sogleich beim Erwachen angegriffen wurde , kommentiert er. Am späten Vormittag und am Nachmittag Besichtigung der Ewigen Stadt. Anderer Orten muß man das Bedeutende aufsuchen, hier werden wir davon überdrängt und überfüllt , stöhnt er, und, daß das alte Rom aus dem neuen herauszuklauben sei. Man trifft Spuren einer Herrlichkeit und einer Zerstörung. Was die Barbaren stehen ließen, haben die Baumeister des neuen Roms verwüstet. Dennoch: Alles auf den Füßen Stehende ist herrlich, alles Zertrümmerte ist ehrwürdig, die Unform der Ruinen deutet auf uralte Regelmäßigkeit, welche sich in neuen großen Formen der Kirchen und Paläste wieder hervortue, schwärmt er; mir ists nur jetzt um die sinnlichen Eindrücke zu tun … Manchmal hat er Papier und Stift bei
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