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Wohin mit mir

Wohin mit mir

Titel: Wohin mit mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Damm
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ist sie noch höher.
    Wir erreichen Tivoli. Hier war August von Goethe kurz vor seinem Tod. Die Villa d'Este, wunderbare Räume, Fensternischen, schwere bemalte Holzfensterläden, zauberhafte Mosaiken, kleine Vögel, Blumen, Männerporträts. Im Garten Wasserspiele, die Allee der hundert Cascadellen. Sind es die, die August so bewundernd beschreibt? Das Wasser fließt spärlich, es wird gespart.
    Es ist sehr schwül. Wir suchen eine Bank im Schatten. Wir sitzen kaum fünf Minuten, da sagt Ursula Bongaerts, wir sollten lieber gehen. Schweigend weist sie mit dem Kopf nach links. Keine sechs Meter von uns entfernt steht ein junger Mann mit heruntergelassener Hose und traktiert seinen Schwanz. Wir stehen auf, sehen uns nicht um, gehen rasch zum Auto. Der Mann rennt hinter uns her, als wir losfahren, stellt er sich, als mache er Autostopp, winkend an den Straßenrand. In der nächsten Straßenkehre erscheint er nochmals. Der Entblößer am Mausoleo di Augusto. Auch er rannte mir nach. Der Schock am ersten Rom-Abend. Der Bettler auf den Stufen der Kirche in der Via del Corso, der sich, als ich gegen Mitternacht nach Hause ging – der Corso war noch belebt –, in aller Öffentlichkeit befriedigte.
    Während der Weiterfahrt erzähle ich davon. Rede auch von den Belästigungen, wenn ich im Park der Villa Borghese am hellerlichten Tag spaziere oder auf einer Bank sitze, dem Angesprochenwerden von Männern, den zweideutigen Reden und zuweilen eindeutigen Gesten. Das sei Rom, sagt sie, sie erlebe es genauso. Und ich erzähle, was ihre römische Mitarbeiterin, der ich
in den ersten Tagen in der fremden Stadt verstört davon berichtet hatte, mir entgegnet habe: Ich solle mich doch freuen, dann sei ich trotz meines Alters für die Männer noch attraktiv. In Deutschland sei es schrecklich, kein Mann gebe ihr auf der Straße ein Zeichen, es sei doch auch ein Spiel; sie fühle sich dort als Frau immer alt und häßlich. Sie riet mir, wenn sich ein Mann zu mir auf die Bank setze, zu sagen: Aspetto mio marito , ich erwarte meinen Ehemann.
    Sofort aufstehen und weggehen scheint mir die bessere Variante, sagt Ursula Bongaerts. Wir lachen. Und mir fällt Kuba ein, wo man niemals einen Mann ansehen darf, weil er das sofort als Aufforderung nimmt. Und es üblich ist, daß Frauen ihren Wert danach bemessen, wie oft beim Vorübergehen Männer anerkennend durch die Zähne pfeifen oder Bemerkungen machen. Aber man wird nicht angesprochen oder belästigt wie in Rom.
     
    Wir erreichen die Villa Hadrian. Ruinen, die Wege durch sie begehbar. Schilder, was einst hier war: Bibliothek, Sportsaal, Raum der Feuerwehrleute. Eine ungeheure Kaiser-Zustands-Zertrümmerung nannte August von Goethe die Villa Hadrian. Er schrieb in sein Tagebuch: Die Natur hat sich allem bemächtigt … Arenen sind mit Weinreben und Oliven bewachsen, in Naumachien weiden Ziegen u. Esel, im griechischen Theater wächst Herzkohl und Brocoli; kaiserliche Zimmer, Bäder sind von Epheu, wildem Wein und anderen Schlingpflanzen umrankt, aus den herrlichsten Gemächern ragen Feigen- und Orangenbäume her
vor. Ich würge mich zu Fuß drei Stunden durch diese Gewinde von Brombeersträuchern, Aloeen und Mirthen Gesträuch. Es war eine Tour wie von Weimar bis Mellingen und zurük. Und er schließt: Zum Glük hatte ich etwas Wein, Brod u. Wurst im Wagen welches bei der Rükkehr in denselben verzehrt wurde.
    Auch wir machen eine Pause. Die Überraschung: ein Picknick-Korb. Im Schatten eines Olivenhaines auf einem weißen Tuch lauter Verführungen. Ich muß vorsichtig sein, ich habe mir den Magen verdorben (vom Essen, von der Hitze?), seit Tagen ernähre ich mich von schwarzem Tee und Zwieback.
    Die Sonne geht unter, ein blaßblauer Halbmond steht am Himmel. Rückfahrt. Ursula Bongaerts lädt mich noch in ihre schöne kühle Wohnung ein. Zum Abschied schenkt sie mir ein kleines Buch.
     
    22. August
    Den Tag mit Lektüre zu Hause verbracht. Noch immer Tee und Zwieback. Mich an »Das dreißigste Jahr« von Ingeborg Bachmann erinnert. Es muß 1962 oder 63 gewesen sein. Alfredo, ein italienischer Freund (ihn hatte ich in Weimar beim Internationalen Hochschulferienkurs kennengelernt), schmuggelte mir den im Westen erschienenen Erzählungsband in seinem VW -Käfer durch den Zoll. Viel später – unvergeßlich – die Stimme der Bachmann vom Tonband im Marbacher Literaturarchiv: »Es kommen härtere Tage«, »Erklär mir Liebe«, »Rosen Schatten Rosen«. 1987 dann in der DDR eine dreibändige

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