Wohin mit mir
gleiche Unterschrift.
Anruf eines römischen Journalisten.
Seine Bitte: vier Vorträge über Goethes »Italienische Reise«, jeweils eine halbe Stunde. Unterkunft in einem Fünf-Sterne-Hotel im Süden mit Blick aufs Meer. Oberste Luxusklasse, fügt er hinzu. Die Vorträge vor 120 Motorjournalisten, sagt er. Was für Journalisten, frage ich. »Focus«, »Stern«, alles, was Rang und Namen habe, eine einzigartige Chance. Ich sage ihm, daß ich an einem Projekt mit meinem Sohn arbeite, ihn dazu in Rom erwarte. Aber Sie können ihn mitbringen, Computer und alles wird gestellt, ich bitte Sie, fünf lächerliche Tage.
Als ich aufgelegt habe, tut mir die Absage leid. Vielleicht hätte es uns Spaß gemacht, hätte uns Aufschlüsse über die Mechanismen der Medien gegeben, zudem, noch nie haben wir ein Fünf-Sterne-Hotel betreten. Wir
hätten es, wie wir Ausflüge in fremde Bereiche in DDR -Zeiten nannten, als soziale Erfahrung nehmen können. Mein Zeitgeiz hat es nicht zugelassen.
13. November
Neun Stunden geschlafen. Heiter, ausgeruht. Meine Tiefs entstehen immer durch zu wenig Schlaf. Auf den Schlaf habe ich schwerlich Einfluß. Aber auf das zweite, das mir depressive Stimmungen beschert, sehr wohl. Ich nehme mir stets mehr vor, als ich schaffen kann. Bis zu Joachims Ankunft wollte ich ein bestimmtes Pensum bewältigen. Die letzten beiden Schreibtage hatte ich nur Beharrlichkeit , die Beschwingtheit hatte sich verflüchtigt. Das Papier blieb leer. Sehenden Auges organisiere ich mir solche Niederlagen, Gefühle des Versagens.
Heute kommt der Sohn. In Wien sein Gastspiel mit »No time to loose«. Der Bruder hat ihm assistiert, bringt Technik und Requisiten mit dem Auto nach Berlin zurück. Joachim steigt in Wien in den Zug. Um 21 Uhr 10 kommt er in Roma Termini an. Der Tisch ist gedeckt. Ich fahre zum Bahnhof. Ein Kopfbahnhof. Binario tre. Eine uralte Lok, keuchend rollt sie ein. Joachim mit einem großen Metallkoffer, einem kleinen Koffer, einem Rucksack, auf dem Kopf seine verwegene alte Russenmütze und, ich kenne ihn nicht, gehüllt in einen fast fußlangen eleganten schwarzen Lodenmantel.
16. November
Intensive Tage mit dem Sohn.
Seine Heiterkeit, das Leben ein Spiel, alles gelingt ihm. War ich nicht als junge Frau ebenso? Alles fiel mir leicht, gelang mir. Und jetzt? Habe ich diese Eigenschaft weitergegeben und sie selbst verloren?
Arbeit, Leben, Genuß, alles ist für ihn eins. Er ist begeistert von Rom, will alles sehen, erfahren. Die Architektur der Stadt, seine Geschichte, die Gegenwart, die Menschen. Er hat Vorstellungen, welche Weine er probieren, was er unbedingt essen möchte: schwarze Trüffel, Ossobuco und Saltimbocca alla Romana. Mit den schwarzen Trüffeln sind selbst Bettina und ihre Mitarbeiter an der Piazza Montecitorio überfragt. Aber er läßt nicht locker. In der vierten Gaststätte können wir Platz nehmen: Spaghetti mit schwarzen Trüffeln.
Der Lärm auf dem Corso stört ihn nicht, im Gegenteil, das animiere ihn, reize ihn zur Arbeit. Er zeichnet, schreibt, fotografiert, filmt, nimmt mit dem Recorder die Geräusche der Stadt auf. Arbeitet bis zum frühen Morgen, bis die Kehrmaschinen über den Corso rattern. Wenn ich gegen zehn, halb elf ins Zimmer komme – die Balkontür steht weit offen –, schläft er noch wie ein Stein. Ich denke daran, wie gut wir im Norden, in Roknäs, mit unseren unterschiedlichen Rhythmen zu Rande kamen. Er arbeitete bis gegen drei oder vier Uhr morgens in der Maschinenhalle, oft mit lauter Musik. Ich stand um fünf Uhr auf und schrieb in meiner Kammer. Unsere gemeinsame Zeit lag zwischen fünf Uhr am Nachmittag und in den Abendstunden.
Hier in Rom aber sitzen wir meist bis weit nach Mitternacht. Und am Morgen muß ich um sieben Uhr die Tür öffnen und die Anlage entsichern. Ich gewöhne mir an, die Putzfrau im Nachthemd zu empfangen. Sie lacht. Aber nicht wie sonst fängt sie neben meinem Zimmer mit Saubermachen an, sondern entfernt im letzten Raum des Museums. Dennoch finde ich meist keinen Schlaf mehr. Aber die Müdigkeit bringt mich keineswegs in ein Tief, im Gegenteil, ich gerate in einen überwachen, fast euphorischen Zustand.
18. November
Was wir auch tun, in Garbatella durch die Obst- und Gemüseabfälle des Großmarktes waten, um zum Museum »Maschinen und Götter« zu gelangen, auf dem Brunnenrand der Fontana di Trevi sitzen oder in langen Gängen die Altstadt von Rom durchstreifen, immer sprechen wir von unserem Lappland-Buch.
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