Wohin mit mir
Frühstück ist fertig, er hat Scampis mit viel Knoblauch in Olivenöl gebraten. Ein intensiver Geruch. Ich koche hier, wenn überhaupt, erst spät am Abend, wenn das Museum geschlossen ist, denn der Geruch durchzieht alle Räume. Joachim zeigt sich unbeeindruckt, lacht, Goethe, der Genießer, hätte gewiß nichts dagegen.
Wir essen, reden. Der Regen wird heftiger, plattert, springt in Blasen vom schwarzen Asphalt des Corsos. Joachim öffnet seinen großen Metallkoffer, kramt in einem Stapel Videokassetten. Legt dann eine ein. Reich- Ranicki mit seinem Literarischen Quartett. »Christiane und Goethe. Eine Recherche« wird besprochen.
Es liegt ein halbes Jahr zurück. Ich hatte, obgleich Verlag und Freunde mich mehrfach auf den Termin 18. Juni aufmerksam gemacht hatten, die Sendung nicht
gesehen. Bewußt. Auf der Frankfurter Buchmesse 1998, nach meiner Lesung im Hochstift, die Siegfried Unseld eingeleitet hatte, nahm er mich anschließend zu einem Empfang der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« in der Privatwohnung von Frank Schirrmacher mit, stellte mich dort Marcel Reich-Ranicki vor. Mit knarrender Stimme wiederholte dieser meinen Namen, fügte, wie mir schien, spöttisch hinzu, dies sei also die Frau, die ihr Herz für Christiane entdeckt habe. Hält er es für feministisch? Liest er überhaupt all die Bücher, die er bespricht? Ich dachte an Fehlurteile, an Verletzungen, von denen mir Autoren erzählt hatten. Sollte man sich dem aussetzen?
In der Nacht vor dem Sendetermin zudem ein Albtraum. Ich sitze in einem fensterlosen kahlen Raum mit grellen Scheinwerfern, in einer endlosen Reihe mit anderen Frauen, die Stühle stehen an der Wand aufgereiht, ein Aufseher bewacht uns, er trägt eindeutig die Züge des Oberkritikers. Er geht die Stuhlreihen entlang und läßt sein Wortbeil fallen. Noch zweimal wird es fallen, dann ist die Reihe an mir.
Am Morgen der Entschluß, mir das »Literarische Quartett« nicht anzusehen. Daß ich keinen Fernsehapparat besitze, erleichtert ihn. An dem Abend, entsinne ich mich, ging ich früh zu Bett. Gegen elf klingelte das Telefon, Joachim war am Apparat, die Stimme von Reich-Ranicki imitierend schnarrte er: … so ergreifend und gründlich … Dieses Buch hätte den höchsten Preis verdient. Das, was diese Autorin für die deutsche Leserschaft und die deutsche Literatur getan hat, sei außerordentlich. Schlaftrunken nahm ich
es zur Kenntnis, sagte, das werden wir feiern, und ging wieder ins Bett. Aber das Telefon klingelte erneut, und es stand nicht mehr still. Freunde und Kollegen gratulierten. Du hast ausschließlich Bestnoten bekommen. – Sieg auf der ganzen Linie für Dein Buch. Meine Leipziger Lektorin: Solche Einmütigkeit gab es im Literarischen Quartett noch nie …
Auch am anderen Tag unaufhörlich Anrufe. Und Briefe. Karl Otto Conrady schrieb: Und gestern Abend war des Jubilierens beim (eigentlich unerträglichen und mit dürftigen Kriterien geradezu inhuman hantierenden) Marcel Reich-Ranicki kein Ende. Mein Staunen über die Macht der Medien. Ich bin vielleicht nur zufällig gut weggekommen, dachte ich damals.
Die Videokassette. Zum ersten Mal sehe und höre ich, was mir von so vielen kolportiert wurde. Die wichtigsten Sätze Reich-Ranickis aber über meine Art des Zitierens hat mir niemand gesagt. Diese Sätze freuen mich wirklich.
20. November
Den Sohn zum Flugplatz gebracht. Ich bin erschöpft. Die Tage waren sehr intensiv. Ein Strom von Bildern und Gedanken in meinem Kopf. Ich denke an »Christiane und Goethe«. Wie unmöglich es mir schien, die Fülle des Materials zu bändigen, in eine Form zu bringen, wie verzweifelt ich oft war. Der Druck, der während der vier Schreibjahre auf mir lastete.
Jetzt von neuem der Druck, dazu ein völlig unbekannter Weg. Die Entschlüsse, die wir gestern ohne den Dritten im Bunde gefällt haben. Über seinen Kopf hinweg.
War das richtig? Wir stellen ihn vor Tatsachen, ohne ihn an den Entscheidungen beteiligt zu haben.
Mir fällt der Schatten – der einzige – ein, der auf meine Gespräche mit Joachim fiel. Seine Beschwerden über seinen Bruder. Dessen Video zum »Wassertheater« sei nicht so ausgefallen, wie er sich gewünscht habe. Auch in Wien habe es Spannungen gegeben. Als ich wissen will, welche, erklärt er, sie seien nach der Vorstellung bei einer ziemlich abgefahrenen Disko gelandet, er habe dem Bruder gesagt, daß dies für das Lappland-Buch äußerst wichtig sei, er aber habe kein Feuer gefangen. Dieser
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