Wohin mit mir
für die Lega-Nord herauszuhören meine? Wir verlassen das politische Terrain. Ich erinnere ihn an seine über ein Jahrzehnt währende Suche nach einer passenden Frau. Dann die schöne Polin, Tochter eines Generals der polnischen Armee. Sie entführte er in den Westen. Die Hochzeit. Eine Nachfeier in Berlin auf unserem kleinen Holzboot auf dem Müggelsee. Die Geburt ihres Kindes. 1987 dann bin ich erstmals in seinem Zuhause in Módena. Ob er sich entsinne, wie wir damals mit seinem Sohn – er war neun – einen Ausflug nach Mantua und Verona machten. Wir aßen in der
Nähe von Verona im Militärcasino des NATO -Hauptquartiers zu Mittag. Alfredos Dienstgrad verschaffte ihm Zutritt. Viele Uniformen, aufgeputzte Frauen mit Hüten. Der Freund grüßte die höheren Ränge militärisch, ich amüsierte mich. Alles war sehr vornehm. Weiße Tischdecken, Wasser aus Kristallkelchen. Auch zum Nachtisch – eine harte Birne – wurde Besteck gereicht und das Kind quälte sich, aber der Vater bestand auf Einhaltung der Etikette.
Er lacht, er erinnere sich. Als wir von der Via Appia Antica mit dem Bus ins Stadtzentrum zurückfahren, lädt er mich wiederum in ein Offizierskasino ein. Dieses Faible ist ihm also geblieben. Das Casino im Palazzo Barberini macht im Gegensatz zu dem bei Verona einen sehr bescheidenen Eindruck. Überwiegend alte oder sehr alte Männer – nur vereinzelt in Uniform – sitzen an blankgescheuerten Tischen. Selbstbedienung. Es könnte ein Klub der Volkssolidarität in DDR -Zeiten sein. Wir essen.
Unsere alte Vertrautheit ist im Laufe des Tages zurückgekehrt. Und so taste ich mich vorsichtig zu einer Frage vor, die mir schon lange am Herzen liegt. Es scheint mir fast unmöglich, daß er während der vielen Jahre seiner Arbeit in Ostberlin bei »Intertext« niemals von der Staatssicherheit angesprochen worden ist. Er weiß, ich habe meine Akten nicht eingesehen. Es werde sich an unserer Freundschaft nichts ändern, sage ich, es interessiere mich einfach. Er reagiert unerwartet heftig, er fühle sich in seiner Ehre angegriffen, eine Unterstellung, eine solche Frage hätte er mir niemals zugetraut. Ein Redeschwall. Was ich auch sage, er läßt
sich nicht beruhigen. Nun bin ich es, die ins Stottern gerät. Wir trennen uns in einer deutlichen Mißstimmung.
28. November
In der Nacht über den Ausgang des Gesprächs gegrübelt. Unruhe.
Am Morgen Reisevorbereitung. Abbruch des Schreibens. Das in den sieben Tagen Erarbeitete durchgelesen. Unzufrieden. Es dennoch auf eine Diskette übertragen und sie in den Briefkasten in der Via del Babuino geworfen.
29. November
Im Zug.
30. November
Perúgia, die alte Hauptstadt Umbriens. Vor der Lesung ein Empfang. Danach ein offizielles Essen. Nicht immer hat man Glück mit seinen Tischnachbarn. Heute habe ich es. Ein älterer Mann und seine Frau; ihre Gesichter sind mir schon während der Lesung aufgefallen. Es sind Paul Wühr, der Schriftsteller und seine Frau Inge Poppe. Sie leben hier in der Nähe in einem Bauernhaus. Verkaufen würden sich seine Bücher nicht, sagt er und lacht. Aber seine Frau veranstalte Symposien zu seinem Werk. Mein Erfolg sei ein Glücksfall, er gönne ihn mir. Er hat das Buch gelesen, er ist einer der wenigen, die die zwischen den Zeilen stehende Bitternis im Verhältnis von Goethe und Christiane wahrgenommen haben.
1. Dezember
Heute nach Génova. Auf dem Bahnhof eine junge Frau, zotteliges Haar, das Gesicht mit roter Farbe verschmiert, eine Drogenabhängige vermutlich, sie läuft, mit brüchiger Stimme singend, einen großen Stoffbär im Arm, die Hand aufhaltend durch die Menge.
Der Blick aus dem Zugfenster. Keine menschenleeren Landschaften wie in Lappland. Eine Ansiedlung folgt der anderen. Dazwischen Ackerflächen und Obstplantagen im Wechsel. Die abgeernteten Felder sind noch nicht umgepflügt, gelb leuchten die Stoppeln in der Sonne. Unter den Obstbäumen liegen große Plastefolien. Mit langen Rechen werden die Früchte heruntergekämmt.
Halt in Magione. Ein Kind im roten Mäntelchen stiefelt auf dem Bahnsteig umher. Hinter Gartenzäunen leuchten Grünkohl und Mangold.
Als nächstes Passignano sul Trasimeno, paradiesisch an einem See gelegen. Hier lebt Paul Wühr. Das Wort Passignano klingt für ihn sicher wie für mich Roknäs in Nordschweden. Hierher lädt er seine deutschen Schriftstellerkollegen ein, hier finden die von seiner Frau veranstalteten Symposien zu seinem Werk statt. Kleine Inseln bevölkern den
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