Wohin mit mir
Unterkunft, privat bei der Leiterin des Goethe-Institutes von Palermo. Als wir uns in Rom kennenlernten, hat sie nach meinen Wünschen für die sechs Tage Sizilien gefragt. Alles ist perfekt vorbereitet.
Noch habe ich meine Sachen nicht ausgepackt, da werde ich von einer jungen Frau abgeholt. Wieder geht es in den dichten Verkehr, teilweise fahren wir im Schritttempo. Felsmassen aus grauem Kalkstein, der Monte Pellegrino zur Rechten, und, eine Handbewegung, nach Westen dehne sich die weite Ebene der Conca d'Oro. Wir verlassen die Autobahn, es geht bergauf. Die Kathedrale von Monreale wolle sie mir zeigen.
Dann stehen wir in ihr. Goldglänzend die Mosaiken. Bin ich im Morgenland? Griechen, Römer, Phönizier, Sarazenen und Normannen, alle seien hier gewesen, daher die Symbiose von abendländischer und morgenländischer Kultur. Die Kapitelle der marmornen Säulen im Kreuzgang. Die grotesken Figuren, was erzählen sie? Ich kann mich nicht lösen.
Meine Begleiterin drängt, wir müßten pünktlich zum Empfangsessen von Goethe-Institut und Universität wieder in Palermo sein. Sie spricht ausgezeichnet Deutsch. An der Universität Palermo habe sie es gelernt. Sie sei nicht in Sizilien geboren, als Studentin sei sie aus Norditalien hierhergekommen. Jetzt sei sie vierunddreißig und seit acht Jahren mit einem Sizilianer verheiratet. Ihr Mann sei Rechtsanwalt, habe seine Kanzlei in Palermo.
Meine Erkältung plagt mich noch immer. Wir halten an einer Apotheke. Die junge Frau schwört auf homöopathische Mittel, sie kauft eines, ich schlucke winzige Kügelchen.
7. Dezember
Am frühen Morgen drei Kirchen. Das sei ein Muß in Palermo, sagt meine Begleiterin. Die Kirche San Giovanni degli Eremiti, die Palatinische Kapelle, die Cattedrale Maria Santissima Assunta. Wir eilen von einer zur andern. Wieder die orientalische Pracht; wieder die Anmutung von Morgenland.
Dann – mein Wunsch – zum Mercato La Vucciria, dem Altstadtmarkt. Es herrscht ein unglaubliches Gedränge. Eine Lärmwolke schwebt über allem, fast jeder der Stände hat sein eigenes Radio. Die Rufe der Verkäufer, ihr Anpreisen der Waren mischt sich mit sizilianischer Volksmusik, mit Fetzen von Opernarien, Verdi und Puccini. Heiterkeit liegt über allem, Lust am Verkaufen und Kaufen ist zu spüren. Die Buden, oft winzig, sind mit Tüchern überspannt. An den Metzgerständen Fliegenschwärme. Übervolle Stände mit frischem Fisch. Meine Begleiterin begutachtet mehrere Fischsorten, kauft dann einen Schwertfisch. Langes Feilschen um den Preis, sie schäkert mit dem Fischhändler, ein lauter Wortschwall hin und her, sie handelt den Preis herunter. Auberginen, Fenchel, wilder Spargel, Lorbeer und Löwenzahn wechseln – wiederum mit lautem Palaver – aus den Händen der Verkäufer in die meiner Begleiterin. Mit dem vollen Korb zum Auto.
Ob ich ihren Mann kennenlernen wolle. Wir fahren
zur Kanzlei des Rechtsanwalts. Ein altes Haus mit schönem Treppenaufgang. Im Flur liegen Bretter. Und dann der seltsame Anblick: Ein schmaler, vielleicht sechzigjähriger Mann sitzt in einem hohen kalten Raum im Mantel mit hochgeschlagenen Kragen an seinem Schreibtisch. Seine auffallend schönen, feingliedrigen Hände liegen auf der Tischplatte. Sonst nichts. Nirgends kann ich ein Schriftstück, kann ich Akten oder Ordner sehen. Er grüßt freundlich. Die beiden wechseln auf sizilianisch einige Sätze. Dann stellt meine Begleiterin ihren Korb auf die Bretter im Flur. Ohne daß wir uns verabschiedet haben, gehen wir, die Tür klappt zu, im Treppenhaus sagt sie, ihr Mann liebe sie sehr, und er wünsche sich sehnlich ein Kind von ihr.
In einer Pizzeria bestellt sie zwei Caffè Corretto und einen Teller mit Cannoli , gefüllte Teigrollen mit zimtgewürztem Quark. Das Gespräch geht um das Kind. Ihr fehle als Nichtsizilianerin die Familie, Mutter und Großmutter, ihre Stelle an der Universität würde sie verlieren. Ich rede ihr zu, wie ich es immer tue, wenn es um ungeborene Kinder geht.
Wir sehen auf die Uhr. Am Büfett läßt sie Caponata einpacken. Für die Reise, sagt sie, es sei ein Nationalgericht, Reisbällchen, gefüllt mit gekochten Auberginen, Kapern, Kürbis, Tomaten und Oliven, man könne es gut kalt essen. Am Busbahnhof holt sie mit Schwung meinen Rucksack aus dem Kofferraum. Pünktlich um 13 Uhr verlasse ich Palermo.
Mit dem Überlandbus quer über die Insel an die Ostküste nach Catania. Fast vier Stunden Fahrt. Eine kar
ge, bergige Landschaft, von den
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