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Wohin mit mir

Wohin mit mir

Titel: Wohin mit mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Damm
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Radien der Weltgeschichte gerichtet sind.
     
    Was wird von Sizilien in meiner Erinnerung bleiben? Die karge, seltsam schöne Landschaft, auf meinem Weg von Palermo nach Catania durchfahren, hat kaum eine Chance, zu fest haben sich die Berge Nordschwe
dens und Norwegens, hat sich die Landschaft Lapplands in meine Seele gegraben. Welche Bilder werden es sein? Der Rechtsanwalt in seinem Mantel in dem hohen kalten Raum seiner Kanzlei, die vor der abgeblätterten Statue der Mutter Gottes wehklagenden und auf die Knie fallenden Sizilianerinnen in Syrakus, die Augen meiner jungen Begleiterin bei dem Gespräch in der Pizzeria über ein Kind, die Lichtintensität und sakrale Stille in Segesta? Die petrochemische Zone zwischen Syrakus und Catania, das Chaos des Verkehrs, die Betonwüste Palermo? Oder einzig Caravaggios Gemälde »Das Begräbnis der heiligen Lucia«?
     
    12. Dezember
    Gestern Ankunft in Rom. Mein Zimmer wurde in den vierzehn Tage nicht sauber gemacht. Sie habe den Schlüssel nicht bekommen, sagt mir die Putzfrau am Morgen. Ich lasse mir von Domenico Eimer, Wischlappen und Putzmittel geben; in zweieinhalb Stunden ist alles geschafft.
     
    Ich habe unsäglich aufgeladen und brauche Ruhe es wieder zu verarbeiten, schreibt Goethe nach der Rückkehr aus Sizilien an Herder.
     
    Die Faszination, die die im Zimmer an den Schrankwänden befestigten Wanderkarten von Lappland auf mich ausüben. Ich starre auf sie, öffne meinen Computer, rufe den Text auf. Ohne Übergang scheint alles in den vierzehn Tagen Gesehene und Erlebte zu versinken. Ich bin wieder im Norden. Schreibe an dem
Punkt weiter, an dem ich am 26. November aufgehört habe.
     
    13. Dezember
    Anruf meines Rechtsanwaltes. Ich solle keinesfalls selbst mit dem Verlag sprechen. Mein Instinkt sagt mir, ich darf die Klärung von Fragen nicht ihm überlassen. Ich muß es tun. Doch schließlich stimme ich seinen Vorschlägen wieder zu, er hat den längeren Atem. Oder ist es meine Scheu vor Auseinandersetzungen, meine Bequemlichkeit?
     
    Es regnet seit zwei Tagen, alle Wege im Park der Villa Borghese stehen unter Wasser.
     
    16. Dezember
    Seit der Rückkehr aus Sizilien alle Morgenstunden an meinem Text.
     
    Und vor Tagen der Besuch eines alten Freundes. Auch ihn habe ich in Weimar kennengelernt, auch er ist in Süditalien geboren und aufgewachsen. Mimmo ist Professor für Germanistik in Bari. Dieses Bari am Hacken des Stiefels war 1987 meine erste italienische Stadt. Von Berlin-Schönefeld war ich nach Mailand geflogen, von dort mit dem Nachtzug nach Bari gefahren. Der Schock: der Fußgänger war ein Nichts. Ungeniert parkten die Autos auf den Gehwegen. Der nächste Schock: die Anweisung, niemals mit einer Handtasche auf die Straße zu gehen, auch kein Portemonnaie bei sich zu haben, selbst in der Wohnung wurde meine Barschaft in eine Schallplattenhülle gesteckt. Meinen Paß ver
wahrte Mimmo in der Innentasche seines Jacketts. (Er habe Erfahrung mit allzu leichtgläubigen DDR -Bürgern.)
    Eine Lesung aus »Vögel, die verkünden Land« vor Studenten, ein Seminar über Volker Braun an der Universität.
    Die Ausflüge mit Mimmo. Nach Trani, wo er seine Militärzeit verbracht hatte. Die weiße Kathedrale am tiefblauen Meer, von dem ein starker warmer Wind wehte. In Bari das Gefängnis, in dem Antonio Gramsci eingekerkert war. Und am Hafen der Fischmarkt mit seinem Überfluß, den Formen, Farben, Stimmen, Gerüchen. Unser Wochenendausflug mit Mimmos Frau und Sohn zusammen. Über das Gebirge, den Appenin, nach Salerno und von dort die Küstenstraße nach Sorrento. Der Blick aufs Meer und an den Hängen Zitronen- und Apfelsinenbäume, übervoll mit weithin leuchtenden Früchten. Am Abend saßen wir im Freien unter Eukalyptusbäumen, aßen aus tiefen Tellern Spaghetti mit frischen Muscheln, tranken Wein. Die Glyzinien mit ihrem betäubenden Geruch. Am Morgen vom Hotel der Blick auf den Golf von Neapel und den im Dunst liegenden Vesuv. Unsere Ausflüge nach Capri und Pompeji. Ich erinnere mich, wie ich alles beglückt und zugleich verstört einsog. Mein schlechtes Gewissen. Wieso durfte ich, von den Grenzwächtern für vier Wochen entlassen, das sehen, meine Söhne und Freunde aber nicht? Die ständige Anwesenheit dieses Gedankens wirkte wie ein Gift, das in den Genuß tröpfelte und ihn verdarb. In meinem Kopf konnte ich damals die hermetisch verriegelten Tore nicht öffnen.
    Erst jetzt – Mimmo sitzt vor mir – gelingt es mir, und erinnernd schießt ungeteilte

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