Wohin mit mir
Freude in mich. Aber ich schweige dem Freund gegenüber, rühre nicht an die Erlebnisse von 1987. Es könnte ihn verletzen. Seine Frau ist vor einigen Jahren an Krebs gestorben.
Drei Tage ist er in Rom. An zwei Abenden wird er zu Kollegen nach Hause gebeten. Ich werde mit eingeladen. Ein Abend bei Professor Marino Freschi, ein anderer bei Professor Paolo Chierini. Ihre schönen Wohnungen. Das aufwendige Tafeln, mehrere Gänge. Die Frauen bewältigen alles bewundernswert leicht und heiter. Mimmo, schon immer korpulent, hat stark zugenommen. Aber er hält sich nicht zurück, im Gegenteil, er ißt mit sichtlicher, fast animalischer Freude. Mit der gleichen animalischen Freude betreibt er seine Wissenschaft. Das mag ich an ihm. Die Gespräche drehen sich ausschließlich um Arbeit. Chierinis Frau ist ebenfalls Germanistin, sie hat mein Lenz-Buch besprochen, ich fühle mich verstanden und danke ihr.
Die Poetik-Vorlesung. An diesen beiden Abenden nimmt mein Absagebrief an meinen Verleger Gestalt an. Das Gespenst verflüchtigt sich. Ich werde nicht in einen Hörsaal der Universität wandern. Ich spüre, die kleinen Bleigewichte in den Füßen, die mich seit meinem ersten Buch beim Schreiben erden, würden wieder verlorengehen, mit langen Armen würde ich in die Wissenschaft zurückgezogen.
17. Dezember
Noch vier Tage, dann ist Tobias da. Post, ein Berg Leserbriefe. Fotos vom Kindeskind.
Am späten Nachmittag ein Abschiedsgang durch Trastevere. Ponte Fabricio, das Restaurante Comparone, Santa Maria in Trastevere, wo die kleinen Bettler waren. Wieder fallen mir die vielen Che-Poster unter den auf der Erde vor Gotteshäusern, Plätzen und in Gassen ausgebreiteten Waren auf.
Ich bleibe bei einem der fliegenden Händler stehen. Wann habe ich das Poster erstmals gesehen? Ich weiß es nicht. Bei meinem Aufenthalt in Kuba 1978 aber, entsinne ich mich, war es allgegenwärtig. In Havanna riesengroß an Häuserwänden. Che Guevara war zum Mythos geworden. Wurde damit eine idealisierte Vergangenheit als Glücksverheißung in die Zukunft projiziert. Und: Förderte Fidel Castro Ches Popularität und instrumentalisierte sie zugleich für seine eigene Herrschaftslegimitation. Wir werden sein wie Che singen die kubanischen Kinder am Morgen in der Schule.
Meine zweite Reise nach Kuba war eine Dienstreise. Eine deutsch-kubanische Arbeitsgruppe des Verlagswesens war 1975 in der DDR gegründet worden, der ich als Mitarbeiterin des Ministeriums für Kultur angehörte. Bisher hatten wir in Leipzig anläßlich der Internationalen Buchkunstausstellung oder in Berlin getagt. Ich erinnere mich an heftige Attacken der Kubaner gegen unseren selbstbezogenen, lächerlichen DDR -Sozialismus. Ihr leidenschaftlich vorgetragener Haupteinwand galt unserer fehlenden Solidarität mit den un
terdrückten Völkern Lateinamerikas und Afrikas. Denselben Vorwurf erhoben sie gegen die Sowjetunion.
Nun hielt der DDR -Sozialismus auch vor meinen Augen längst nicht mehr stand, aber aus anderen Gründen. Gesellschaftsgestocktsein in erschreckendem Ausmaß. Denkverbote. Die bitteren Erfahrungen von Prag 1968. Das wärmende Ländchen wurde zunehmend zum Totenhaus. Die Erkenntnis, immer weniger bewirken zu können. Im Sommer 1978 zog ich die Konsequenz, kündigte. Der 30. September würde mein letzter Tag im Amt sein. Die Reise auf die Karibikinsel sah ich als eine Art Abschied. Mein Ehrgeiz war, in Kuba über die vereinbarten Übersetzungsprojekte hinaus neue auf den Weg zu bringen, ehe ich die Arbeit aus der Hand gab.
Als wir auf dem Airport »José Martí« in Havanna landeten, war mein bisheriger Partner nicht unter den Abholenden. Auch als die Tagung begann, fehlte er. Meiner Frage wurde ausgewichen. Dann, als ich hartnäckig blieb, hieß es, er stehe an anderer Stelle im revolutionären Kampf. Da wußte ich, er war mit der Waffe in der Hand nach Angola geschickt worden. (Nach Guevaras Tod hatte die Sowjetunion zunächst die Unterbindung des Exports der kubanischen Guerilla mit einer drastischen Kürzung der Wirtschaftshilfe versucht. Nachdem Castro dann verschiedene Zugeständnisse gemacht hatte, unter anderem den Einmarsch der sowjetischen Truppen in die CSSR gerechtfertigt, durfte Kuba ab 1975 wieder Kämpfer nach Afrika schicken, in ein Operationsgebiet, das bereits Che Guevara ins Auge gefaßt hatte.)
Ches Ideal des Selbstopfers war, wie ich mich über
zeugen konnte, lebendig. Mit Stolz sprachen sie von den in Angola gefallenen Revolutionären.
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