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Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Titel: Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Bonyhady
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sich ohne welches zu behelfen. Man betonte zwar die Notwendigkeit, mehr Gemüse zu essen, doch dass Fleisch auf den Tisch kam, verstand sich von selbst. Die Bleistiftanmerkungen in dem Kochbuch lassen vermuten, dass die Köchin der Familie es regelmäßig zur Hand nahm.
    Die Silberhochzeit von Moriz und Hermine im Mai 1918 ließ erkennen, wie wenig die Gallias vom Mangel betroffen waren, zumindest wenn es um einen besonderen Anlass ging. Das Festmahl in der Wohllebengasse umfasste fünf Gänge und war äußerst üppig, verglichen mit dem, was die meisten Österreicher zu essen hatten. Als Vorspeise gab es Einmachsuppe mit einem Stück Kalbskopf als Hauptzutat; sie war eine Lieblingsspeise Hermines und wurde mit Semmeln und Salzstangen serviert. Dann folgten Entenleber in Aspik und gebratenes Rinderfilet mit Reis und Specksalat. Das erste Dessert war Hindenburgtorte – eines der vielen Beispiele für den Kult, der um den Oberbefehlshaber der deutschen und österreichisch-ungarischen Streitkräfte, Paul von Hindenburg, getrieben wurde. Das zweite, Birnen-Pfirsich-Kompott, war eine Kreation des neuesten Feindes, Amerika. Und alle tranken Sekt.
    Moriz und Hermine reservierten wie eh und je die besten Plätze in Oper und Theater, und sie kauften immer noch bei der Wiener Werkstätte ein, die seit Moriz’ Eintritt in den Vorstand noch mehr zum Familienanliegen geworden war. Die WW-Sammlung der Gallias war bereits sehr vielfältig gewesen, als sie in die Wohllebengasse übersiedelten; nun besaßen sie Gegenstände aus beinahe allen Materialien, die in den Werkstätten verarbeitet wurden – Gold, Silber, Blech, Email, Leder, Keramik, Glasperlen, Spitzen und Stoffe. Wie die anderen wichtigen Mäzene waren die Gallias zuhause von Objekten der WW umgeben und trugen auch beim Ausgehen deren Produkte. Gretl ging bis zu dreimal in der Woche in die Werkstätte und bekam zum Geburtstag mindestens ein WW-Stück geschenkt, dazu hin und wieder auch dazwischen etwas, da sie trotz des Krieges nach wie vor mit Gaben überhäuft wurde. An einem Geburtstag waren es eine von der Wiener Werkstätte hergestellte Geldbörse und ein Buchstempel, in einem anderen Jahr eine seidenbezogene Schatulle und in wieder einem anderen eine kleine WW-Tasche und ein Köfferchen.
    Die Arbeiten der Werkstätte aus dieser Periode waren noch dekorativer und weniger funktionell als früher. Am liebsten kaufte die Familie Sachen von Fritzi Löw, deren Spezialität Szenen aus dem 18. und 19. Jahrhundert mit Männern in Zylinderhüten, Gehröcken und Kniehosen und Frauen mit Schutenhüten und Sonnenschirmchen waren. Nachdem Löw 1916 in die Werkstätte eingetreten war, beauftragten Moriz und Hermine sie umgehend damit, zu Gretls zwanzigstem Geburtstag ein Exlibris zu entwerfen; es zeigte eine junge Frau mit Halskrause, die auf der Laute spielt, eine Anspielung auf die musikalischen Interessen Gretls. Sie kauften auch eine Mappe mit Löws Aquarellen, viele ihrer Postkarten und das verspiegelte Kästchen mit dem Glasdeckel, darauf eine der jungen Frauen mit Schutenhütchen, das Gretl mir später schenkte.
    Diese Verbundenheit mit der Werkstätte nahm noch viele andere Formen an. Als die Modeabteilung der WW Ende 1915 Kostüme für Wiener Theater zu entwerfen begann, besuchten Moriz, Hermine und Gretl eine der ersten Produktionen an der Residenzbühne, wo Ida Roland als Hedda Gabler in einem Kostüm der WW auftrat. Nachdem die Werkstätte im Palais Esterházy in der Kärntner Straße ein neues Modegeschäft eröffnet hatte, besuchte die Familie von der WW veranstaltete Konzerte im großen Empiresaal des Palais, wo sonst Modeschauen stattfanden.
    Käthes Tagebuch bestätigt, dass die Familie Geschenke am liebsten in der Werkstätte einkaufte. Als die Zwillinge im April 1918 neunzehn wurden, erhielt jede von Hermines Eltern einen Anhänger mit Kette aus der WW, von Gretl eine WW-Brosche und von Moriz und Hermine ein perlenbesticktes WW-Täschchen mit einem Elfenbeinkamm; Käthe bekam außerdem ein WW-Maniküreset geschenkt. Als Moriz und Hermine im Mai ihre Silberhochzeit feierten, beauftragten die Zwillinge Fritzi Löw, das Exlibris zu Ehren der Ehe ihrer Eltern zu entwerfen; Hermines Brüder taten sich zusammen, um ein sehr kostbares Geschenk zu kaufen: ein silbernes Hoffmann-Kaffeeservice, das wichtigste Stück des Designers, das die Gallias seit dem Umzug in die Wohllebengasse erhalten hatten.
    Auch Gustav Klimt, der Anfang des Jahres zwei Schlaganfälle erlitten

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