Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)
hatte, blieben sie verbunden. Am 23. Jänner, als seine Gesundheit noch eher eine private statt eine Sache des öffentlichen Interesses war, berichtete Gretl, Carl Molls Frau Anna habe Hermine gesagt, Klimts Aussichten stünden sehr schlecht. Am 6. Februar notierte sie, dass er um sechs Uhr früh gestorben war. Drei Tage später nahm Moriz am Begräbnis auf dem Hietzinger Friedhof teil; Hermine lag mit einer schweren Erkältung im Bett.
Die einzige wichtige zeitgenössische Veröffentlichung über Klimt enthielt fünfzig spektakuläre Farblichtdrucke im Großfolioformat von seinen bedeutendsten Bildern, darunter das Porträt Hermines und das Landschaftsbild mit dem Buchenwald. Die erste Ausgabe von »Das Werk von Gustav Klimt« wurde von Carl Moll in der Galerie Miethke zwischen 1908 und 1914 herausgebracht, eine zweite Auflage 1918 von Hugo Heller, der Moll als einer der großen Wiener Kunstunternehmer nachfolgte. Dieses Portfolio war Klimts letztes Werk, der Druck wurde unter seiner Aufsicht an jenem Tag fertiggestellt, als er wegen seiner Schlaganfälle ins Sanatorium Fürth eingeliefert wurde. Die billigste Ausgabe kostete 500 Kronen, die teuerste, in einer Schweinslederkassette mit seidenem Vorsatz und einer Originalzeichnung Klimts, 1500 Kronen. Wäre Klimt nicht gestorben, hätte er die Titelseite und alle Abzüge signiert. So musste sich Heller mit einem Faksimile der Signatur behelfen. Als Hermine und Moriz ihre Silberhochzeit feierten, schenkte sie ihm eine der 35 Ausgaben.
Die meisten Mäzene Klimts, darunter Moriz und Hermine, kauften die Werke der nächsten Generation Wiener Künstler nicht. Die erste Einzelausstellung von Egon Schiele, die Moll 1911 – Schiele war erst zwanzig – in der Galerie Miethke veranstaltete, fand beinahe keine Käufer. Schieles Verurteilung im Jahr 1912, weil er »unzüchtige« Zeichnungen gezeigt hatte, wo Kinder sie sehen konnten, unterstrich noch seinen Ruf, unmoralisch zu sein. Gegen Kriegsende allerdings hatte sein Status sich geändert, seine früheren Werke fanden mehr Bewunderer, seine neueren waren weniger kontroversiell. Im drei Seiten umfassenden Adressverzeichnis, das Schiele 1918 anlegte, war Moriz vertreten. Als Schiele in diesem Mai im Kunsthaus Zürich eine Ausstellung österreichischer Kunst organisierte – die kaiserliche Regierung versuchte damit ihr Image in der neutralen Schweiz aufzupolieren und Gerüchten über österreichische Barbarei entgegenzutreten –, stellte Moriz zwei Gemälde als Leihgaben zur Verfügung.
Die 49. Secessionsausstellung in diesem März wurde ebenfalls von Schiele organisiert, der aus der Secession wieder die aufregendste zeitgenössische Galerie machte. Sein Plakat für die Ausstellung zeigte ihn selbst als Vorsitzenden an einem Tisch der Künstler – eigentlich als Leiter der Secession – mit einem leeren Stuhl, der Klimts Tod symbolisieren sollte. Den Hauptraum der Ausstellung bestückte er mit 48 seiner eigenen Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen. Das Resultat, erklärte er triumphierend, sei ein unglaubliches Interesse an neuer Kunst. Die Kritiker rühmten seine außerordentliche Zeichenkunst, die Sammler wetteiferten um seine Werke, und das Publikum drängte sich, sie zu sehen. Gretl ging dreimal hin.
Die nächste Ausstellung der Secession im April war bemerkenswert wegen eines Monumentalgemäldes von Albin Egger-Lienz, dem bedeutendsten österreichischen Maler, der sich den Krieg zum Thema nahm. »Den Namenlosen« war Teil einer Reihe von Schlachtenbildern, in denen Egger-Lienz von der Abbildung stolzierender, individualisierter, heroischer Soldaten zu gekrümmten, gesichtslosen, anonymen Figuren und dann zu Feldern voller Toten fortschritt. Wäre nicht Krieg gewesen, dann hätte die Secession ein besonderes Fest veranstaltet, um die Ausstellung, es war die fünfzigste, zu feiern. Stattdessen gab es nur eine Privatbesichtigung an einem Samstagvormittag, die Gretl mit Moriz besuchte. Zwanzig Jahre, nachdem er begonnen hatte, die Secession zu fördern, ging Moriz immer noch zu den Eröffnungen.
Wäre er nur gesund gewesen. Im Dezember 1917 war Gretl eines Nachmittags heimgekommen und hatte ihren 59-jährigen Vater mit Halsschmerzen und Schüttelfrost im Bett liegend gefunden. Am nächsten Tag war Moriz immer noch bettlägerig, und obwohl er am Tag darauf aufstand und bald wieder er selbst schien, litt er zu Beginn des neuen Jahres immer wieder unter Schüttelfrost und Fieberschüben. Doch er arbeitete nach wie vor
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