Wohnraum auf Raedern
mie, die wie ein Frauenkopf aussah, und rundherum waren ägyptische Schriftzeichen. Ich erstarb vor Ve r wunderung über eine so jugendliche Mumie, denn nicht einmal ein Hundertjähriger sieht so aus, g e schweige denn jemand, der 2500 Jahre alt ist.
Der junge Mann schlug höflich vor: »Stellen Sie Fr a gen. Möglichst einfache.«
Da trat der Vorsitzende hinzu und fragte: »In we l cher Sprache sollen die Fragen gestellt werden? Ich kann nicht Ägyptisch.«
Der junge Mann antwortete ohne Zögern: »Fragen Sie auf russisch.«
Der Vorsitzende räusperte sich und stellte eine Frage: »Sag, teure Mumie, was hast du vor dem Februaru m sturz gemacht?«
Da erblaßte die Mumie und sagte: »Ich habe st u diert.«
»So. Und sag, teure Mumie, warst du unter der So w jetmacht vor Gericht, und wenn nicht, aus welchem Grund?«
Die Mumie blinzelte und schwieg.
Der junge Mann rief: »Wieso quälen Sie um 15 K o peken die Mumie, Bürger?«
Da nahm sie der Vorsitzende unter Dauerbeschuß: »Liebe Mumie, wie ist deine Einstellung zur Weh r macht?«
Die Mumie begann zu weinen und sagte: »Ich war Krankenschwester.«
»Und was würdest du tun, wenn du Kommunisten in der Kirche siehst? Und wer ist Genosse Stutschka? Und wo lebt jetzt Karl Marx?«
Der junge Mann sah ein, daß die Mumie durchgefa l len war, und rief in Sachen Marx selber aus: »Er ist tot!«
Der Vorsitzende aber schrie: »Nein! Er lebt im He r zen des Proletariats.«
Da ging das Licht aus, und die Mumie verschwand schluchzend im Untergrund, das Publikum aber rief dem Vorsitzenden zu: »Hurra! Danke für die Überpr ü fung der falschen Mumie.«
Sie wollten ihn auf die Schultern heben. Der Vorsi t zende aber wies diese Ehre zurück, und wir verließen das Volkshaus, wobei uns eine Schar Proletarier schre i end folgte.
Mademoiselle Jeanne
Bei uns, im Klub der Station Z., fand ein Abend der Wahrsagerin und Hypnotiseuse Jeanne statt. Sie erriet fremde Gedanken und ve r diente an einem Abend 150 Rubel.
(Arbeiterkorrespondent)
Der Saal erstarb. Auf der Bühne erschien eine Dame mit unruhigen geschminkten Augen, in einem lila Kleid und roten Strümpfen. Ihr folgte ein gewandter, wie von Motten zerfressener Typ in gestreiften Hosen, mit einer Chrysantheme im Knopfloch. Der Typ ließ seine A u gen über den Saal huschen, beugte sich vor und flüste r te der Dame ins Ohr: »Der Glatzkopf in der ersten Reihe, mit dem steifen Kragen, ist der zweite Stellve r treter des Stationsvorstands. Er hat vor kurzem auf einen Heiratsantrag einen Korb bekommen. Sie heißt Njurotschka. (Laut zum Publikum:) Hochverehrtes Publikum. Ich habe die Ehre, Ihnen die berühmte Wahrsagerin Jeanne, Medium aus Paris und Sizilien, vorzustellen. Sie weissagt aus Vergangenheit, Gege n wart und Zukunft, ebenso errät sie intime Geheimnisse! Der Saal erblaßte. (Zu Jeanne:) Mach ein geheimnisvo l les Gesicht, dumme Gans. (Zum Publikum:) Das will jedoch nicht besagen, daß es sich um Zauberei oder irgendwelche Wunder handelt. Nichts dergleichen, denn Wunder existieren nicht. (Zu Jeanne:) Hunder t mal habe ich dir schon gesagt, daß du abends das Ar m band tragen sollst. (Zum Publikum:) Alles beruht mit Erlaubnis des Ortskomitees und der Kommission für Kultur und Volksbildung ausschließlich auf natürlichen Kräften. Es handelt sich um hypnotisch begründete Vitalopathie gemäß der Lehre der indischen Fakire, die vom englischen Imperialismus unterdrückt werden. (Zu Jeanne:) Seitlich unter der Losung, die Frau mit der Handtasche, ihr Mann hat eine Freundin auf der näch s ten Station. (Zum Publikum:) Wenn jemand verborg e ne familiäre Geheimnisse erfahren will, ersuche ich, die Fragen mir zu stellen, ich werde sie auf hypnotische Weise weitergeben, nachdem ich die berühmte Jeanne in Schlaf versetzt habe ... Bitte setzen Sie sich, Mad e moiselle ... Der Reihe nach, Bürger! (Zu Jeanne:) Eins, zwei, drei – und Sie werden jetzt schläfrig! (Macht i r gendwelche Handbewegungen vor Jeannes Augen.) Vor Ihnen steht ein wunderbares Beispiel für Okkultismus. (Zu Jeanne:) Schlaf ein, was reißt du die Augen auf? (Zum Publikum:) So, sie schläft! Ich bitte ...«
In der Totenstille erhob sich der Stellvertreter des Stationsvorstands, errötete, erblaßte, und fragte mit vor Angst irrer Stimme. »Was ist das wichtigste Ereignis in meinem Leben? Im gegenwärtigen Moment?«
Der Typ (zu Jeanne): »Schau mir aufmerksamer auf die Finger, dumme Gans.« Der Typ bewegte seinen Finger unter der
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