Wohnraum auf Raedern
vierhundert!«
»Aber ich bitte Sie!« rief der Weichensteller mit leicht zitternder Stimme: »Ich verdiene vierzig Rubel!«
»Um so schlimmer. Schulden wirst du machen, Wechsel wirst du unterschreiben. Eine Kleiderrechnung für 180 Rubel hält sie dir unter die Nase. Da wirst du die Augen aufreißen. Du wirst dich drehen und we n den, und schon ist der Wechsel unterschrieben. Dann läuft er ab, Geld hast du keines, um ihn zu bezahlen, und wo gehst du hin, natürlich ins Kasino. Zuerst ve r lierst du dein eigenes Geld, dann fünftausend aus der Staatskasse, dann den französischen Schraubenschlüssel, dann das Signalhorn, dann die rote und die grüne Si g nalflagge, dann die Laterne und zum Schluß – die H o sen. Nackt, wie deine Mutter dich geboren hat, wirst du dich auf die Gleise setzen mit deiner Tänzerin. Das gibt einen Skandal, wenn du vor Gericht kommst. In strenge Einzelhaft werden sie dich stecken. Unter fünf Jahren kommst du nicht davon. Nein, Weichensteller, laß das. Ist sie Französin, deine Kokotte?«
»Wieso soll sie eine Französin sein?« rief der We i chensteller, bei dem sich schon alles drehte. »Sie m a chen wohl einen Witz? Marja heißt sie. Einen Hut ... ? Was sagen Sie da, einen Hut! Sie weiß nicht einmal, wo man so etwas aufsetzt. Sie kocht mir Suppe!«
»Auch ich kann dir Suppe kochen, das heißt noch nicht, daß ich deine Frau bin.«
»Erlauben Sie, sie wohnt mit mir in einem Zimmer!«
»Auch ich kann mit dir in einem Zimmer wohnen, das ist noch kein Beweis.«
»Erlauben Sie, Sie sind ein Mann ...«
»Das weiß ich auch ohne dich«, sagte der Vorgesetzte.
Der Weichensteller wurde grün vor Wut. Er griff in die Tasche und zog eine Zeitung heraus. »Hier, sehen Sie bitte, der ›Pfiff‹«, sagte er.
»Was für einen Pfiff?« fragte der Vorgesetzte.
»Die Zeitung.«
»Freund, zum Zeitunglesen habe ich keine Zeit. G e wöhnlich lese ich am Abend die Zeitung«, sagte der Vorgesetzte, »faß dich kürzer, was brauchst du, schöner Jüngling?«
»Im ›Pfiff‹ steht eine ... Erklärung, daß faktische Eh e frauen, welche mit dem Mann zusammenleben und von ihm unterhalten werden, Gratisfahrkahrten bekommen ... welche ... gleichberechtigt ...«
»Freund«, unterbrach ihn der Vorgesetzte sanft, »du befindest dich in einem Irrtum. Du denkst vielleicht, daß der ›Pfiff‹ für mich Gesetz ist. Mein Lieber, der ›Pfiff‹ ist kein Gesetz, sondern eine Zeitung zum Lesen, sonst nichts. Und im Gesetz steht nichts über Flit t chen.«
»Soll das heißen, ich bekomme keine Fahrkarte?« fragte der Weichensteller.
»Du bekommst keine, mein Lieber«, antwortete der Vorgesetzte.
Sie schwiegen.
»Auf Wiedersehen«, sagte der Weichensteller. »Leb wohl und bereue deine Taten!« rief ihm der Vorgesetzte nach.
1926
Wohnraum auf Rädern
Tagebuch des genialen Bürgers Polosuchin
21 . November.
Moskau hat’s in sich, das kann ich Ihnen sagen. Es gibt keine Wohnungen. Es gibt keine, nichts zu wollen! Meiner Frau habe ich telegraphiert, sie solle einstweilen nicht kommen und etwas zuwarten. Drei Nächte habe ich bei Karabujew in der Badewanne geschlafen. Ganz bequem, nur tropft es. Und zwei Nächte bei Stsch u jewskij auf dem Gasherd. Bei uns in Jelabuga sagte man, das sei bequem, Teufel noch einmal! – alle mögl i chen Schrauben bohren sich einem ins Fleisch, und die Köchin ist unzufrieden.
23 . November.
Ich kann nicht mehr. Habe mein ganzes Kleingeld für Bußen ausgelegt, mich dann in den A gesetzt und bin sechsmal im Kreis gefahren – dann wollte die Schaffn e rin wissen: »Wohin fahren Sie, Bürger?«
»Zum Teufel fahre ich«, war meine Antwort. Ta t sächlich, wohin fahre ich? Dann übernachtete ich im Park. Eine Kälte.
24 . November.
Habe belegte Brote mitgenommen und bin losgefahren. In der Straßenbahn ist es warm – vom Atem. Auf dem Arbat aß ich zusammen mit den Schaffnern. Wurde bemitleidet.
27 . November.
Wie eine Klette klebte er an mir und wollte wissen, warum ich mit dem Spirituskocher Straßenbahn fahre? »Das ist nicht verboten«, sagte ich zu ihm. »Singen ist verboten, das tue ich auch nicht.« Ich bot ihm Tee an, da gab er Ruhe.
2 . Dezember.
Wir übernachten zu fünft. Nette Leute. Haben Decken ausgebreitet – wie in der ersten Klasse.
7 . Dezember.
Purzman und Familie sind eingezogen. Eine Hälfte wu r de abgeteilt – für die Damen, ein Nichtraucher. Die Fenster haben wir alle übermalt. Strom ist gratis. In
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