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Wohnraum auf Raedern

Wohnraum auf Raedern

Titel: Wohnraum auf Raedern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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Chrysantheme, dann machte er mit den Fingern einige geheimnisvolle Zeichen, deren B e deutung »zer-bro-chen« war.
    »Ihr Herz«, antwortete Jeanne, wie im Schlaf, mit Grabesstimme, »ist an einer bösen Frau zerbrochen.«
    Der Typ zwinkerte bejahend mit den Augen. Der Saal stöhnte auf und starrte den unglücklichen Stellve r treter des Stationsvorstands an.
    »Wie heißt sie?« fragte der verschmähte Stellvertreter mit heiserer Stimme.
    – En, ju, er, o, t, seh ... – bewegte der Typ seine Fi n ger an den Rockaufschlägen.
    »Njurotschka!« antwortete Jeanne fest.
    Der Stellvertreter des Stationsvorstands war ganz grün geworden, er erhob sich, blickte traurig um sich, ließ seine Kappe und eine Zigarettenschachtel fallen und ging hinaus.
    »Werde ich heiraten?« rief ein Fräulein plötzlich mit hysterischer Stimme. »Sagen Sie es mir, teure Made-moiselle Jeanne!«
    Der Typ maß das Fräulein mit geübtem Blick, sah den Pickel auf der Nase, die flachsfarbenen Haare, die schiefe Hüfte und legte seine Finger an der Chrysa n theme zum Zeichen »Nein« zusammen.
    »Nein, Sie werden nicht heiraten«, sagte Jeanne.
    Der Saal erdröhnte wie ein Reiterregiment auf einer Brücke, und das halbtote Fräulein lief hinaus.
    Die Frau mit der Handtasche unter der Losung e r hob sich und drängte sich zu Jeanne.
    »Laß das, Daschenka«, flüsterte eine Männerstimme von hinten.
    »Nein, ich lasse es nicht, jetzt werde ich erfahren, wo du dich überall herumtreibst«, antwortete die Besitzerin der Handtasche und sagte: »Sagen Sie, Mademoiselle, betrügt mich mein Mann?«
    Der Typ betrachtete den Mann abschätzend, blickte in seine verlegenen Augen, sah, wie er errötete, und formte mit dem Finger einen Haken, was »Ja« bedeut e te.
    »Er betrügt Sie«, sagte Jeanne mit einem Seufzer.
    »Mit wem?« fragte Daschenka unheildrohend.
    Teufel, wie heißt sie? – dachte der Typ. – Lieber Gott, gib, daß es mir einfällt ... ja, ja, ja, die Frau dieses ... ach, zum Teufel ... ja – Anne.
    »Teure Jeanne, sagen Sie es. Jeanne, mit wem betrügt sie der Mann?«
    »Mit Anne«, antwortete Jeanne überzeugt.
    »Wußte ich es doch«, rief Daschenka schluchzend: »Ich dachte es mir schon lange. Gauner!«
    Mit diesen Worten schlug sie ihrem Mann mit der Handtasche über die rechte, glattrasierte Wange. Der Saal brach in stürmisches Gelächter aus.
     
    1925

Der Schaffner und das Mitglied der kaiserlichen Familie
     
     
    Die Schaffner der Moskau-Weißrußland-Baltikum-Linie haben die vom Verkehrsminister ausgearbeitete I n struktion Nr. 85 betreffend der Ehre n bezeugungen, welche den verschiedenen Mitgliedern der kaiserlichen Familie zu erweisen sind, zugestellt erhalten.
    (Arbeiterkorrespondent)
     
    Die Schaffner waren völlig vor den Kopf gestoßen.
    Das Papier war glänzend, steif, offiziell, kam aus dem Zentrum, und auf dem Papier stand:
    »Begegnet dir ein Mitglied der Eisenbahnergewer k schaft, so grüße mit einem höflichen Kopfnicken und den Worten: ›Guten Tag, Genosse.‹ Sofern bekannt, kann der Familienname hinzugefügt werden.
    Erscheint ein Mitglied der kaiserlichen Familie, so ist mit der Ehrenbezeugung entsprechend Formblatt Nr. 85 und den Worten: ›Ich wünsche Gesundheit, Eure kaiserliche Hoheit!‹ zu grüßen. Ist dies, über alle Erwa r tung, der Kaiser selbst, so ist das Wort ›Hoheit‹ durch das Wort ›Majestät‹ zu ersetzen.«
    Als er dieses Papier erhalten hatte, ging Chwostikow nach Hause und war so erbittert, daß er sofort ei n schlief. Und gleich darauf befand er sich auf dem Pe r ron des Bahnhofes. Und ein Zug fuhr ein.
    Ein schöner Zug, dachte Chwostikow. – Ich möchte wissen, wer mit diesem Zug gekommen ist.
    Und gleich nachdem er das gedacht hatte, blitzte in den spiegelnden Fensterscheiben elektrisches Licht auf, die Türen öffneten sich, und aus dem dunkelblauen Waggon trat der kaiserliche Herrscher. Auf seinem Kopf saß kühn die strahlende Krone, auf seinen Schu l tern – ein weißer Hermelin mit Schwänzchen. Die ordensbedeckte Suite folgte ihm sporenklirrend.
    Was soll denn das sein, Freunde? – dachte Chwost i kow und erstarrte.
    »Ha! Wen sehe ich?« sagte der kaiserliche Herrscher und starrte Chwostikow an. »Wenn mich mein Blick nicht trügt, ist das mein früherer treuer Untergebener und jetzige Genosse Schaffner Chwostikow? Guten Tag, mein Teuerster?«
    »Hilfe ... Ich wünsche Gesundheit ... bin eingeschl a fen ... Euer ... ich bin verloren, und die Kinder auch ...

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