Wohnraum auf Raedern
hatte, war der Schlo s ser schweigsam, er sah ein, daß eine Pause nötig wäre, und las bis zum Abend nichts. Das bewahrte ihn alle r dings nicht vor zwei weiteren Besuchen im Schweigen der schlaflosen Nacht – als erster kam der lebensfrohe Syndikus der freien Hansestadt Eduard Banks, danach der Kanzleivorsteher des kleinrussischen Gouverneurs Dimitrij Nikolajewitsch Bantysch-Kamenskij.
Den ganzen Tag schmerzte ihn der Kopf. Er las nicht. Am nächsten Tag jedoch machte er sich wieder daran. Trotz allem arbeitete er sich durch Banjuwan-gis, Bagnemasse, Bagniere de Bigord und durch zwei Bagnacavallo – den Mann und die Stadt – hindurch.
Zum Krach kam es bei dem überaus einfachen Wort »Baranowskije«. Es gab ihrer neun: Vladimir, Woj-ciech, Ignatij, Stepan, zweimal Jan, dann Metschislaw, Boleslaw und Boguslaw.
Im Kopf des unglücklichen Opfers des Bibliothekars riß irgend etwas:
»Ich lese und lese«, erzählte der Schlosser dem Ko r respondenten, »ganz leichte Wörter: Metschislaw, B o guslaw – aber selbst wenn Sie mich umbringen, ich weiß nicht mehr, wer wer ist. Ich schließe das Buch, und alles ist wie weggewischt. An eines erinnere ich mich: Madrian. Wer ist Madrian, denke ich? Dort gibt es überhaupt keinen Madrian. Auf der linken Seite stehen zwei Branetzkijs. Der eine ist Herr Adrian, der andere Marian. Und bei mir heißt es Madrian.
In seinen Augen standen Tränen.
Der Korrespondent nahm ihm die Enzyklopädie weg und machte der Quälerei ein Ende. Er riet ihm, alles zu vergessen, was er gelesen habe, und schrieb über den Bibliothekar ein Feuilleton, worin er ihn als B löde M o luske und B elämmertes Schaf beschimpfte, ohne über den Rahmen des fünften Bandes hinauszugehen.
II
Die ägyptische Mumie
Erzählung eines Gewerkschaftlers
Wir fuhren dienstlich nach Leningrad, mit dem Vorsi t zenden unseres Ortskomitees.
Nach Erledigung unserer geschäftlichen Laufereien sagt der Vorsitzende zu mir: »Weißt du was, Wasja? Gehen wir ins Haus des Volkes.«
»Und was habe ich dort verloren?« frage ich.
»Du bist komisch«, antwortet mir der Vorsitzende unseres Ortskomitees: »Im Haus des Volkes unterhältst du dich auf gesunde Art und erholst dich gemäß Par a graph 98 des Arbeitsgesetzbuches.« (Der Vorsitzende weiß alle Paragraphen auswendig und gilt deshalb als ein Wunder der Natur.)
Also gut. Wir gingen hin. Wir zahlten, wie es sich gehört, und begannen, Paragraph 98 anzuwenden. U n ser erster Weg führte uns zum Todesrad. Ein gewöhnl i ches riesiges Rad und ein Stock in der Mitte. Dann beginnt sich das Rad aus unbekannten Gründen mit unglaublicher Geschwindigkeit zu drehen und schle u dert jeden Gewerkschaftler, welcher sich daraufsetzt, weiß der Teufel wohin. Sehr lustig, je nachdem, wie es einen hinauswirft. Ich flog außerordentlich komisch gegen ein Fräulein und zerriß mir die Hosen.
Der Vorsitzende verdrehte originell ein Bein und zerbrach einem Bürger den Mahagonistock – mit einem Schrei des Entsetzens. Dabei flog er und alle anderen fielen hin, denn der Vorsitzende unseres Ortskomitees ist ein Mann von ungeheurem Gewicht. Mit einem Wort, als er fiel, dachte ich, daß ein neuer Vorsitzender gewählt werden müsse. Aber der Vorsitzende erhob sich munter wie die Freiheitsstatue, während umgekehrt der Bürger mit dem kaputten Stock Blut hustete.
Dann gingen wir in das verzauberte Zimmer, in we l chem sich die Decke und die Wände drehen. Hier gab ich flaschenweise Bier der Marke »Neues Bayern« von mir, das ich mit dem Vorsitzenden am Büffet getru n ken hatte. So speiübel war mir in meinem Leben noch nie wie in diesem verfluchten Zimmer, dem Vorsitze n den machte es aber nichts.
Doch als wir hinausgingen, sagte ich zu ihm: »Freund, ich verzichte auf deinen Paragraphen. Zum Teufel mit den Unterhaltungen gemäß No. 98 !«
Er aber sagte: »Jetzt sind wir schon da und haben b e zahlt, du mußt dir noch die berühmte ägyptische M u mie anschauen.«
Und so betraten wir den Raum. In bläulichem Licht erschien ein junger Mann und erklärte: »Bürger, Sie sehen jetzt ein Phänomen von unerhörter Qualität – eine echte ägyptische Mumie, die vor 2500 Jahren he r gebracht wurde. Diese Mumie weissagt aus Vergange n heit, Gegenwart und Zukunft, beantwortet Fragen und erteilt Ratschläge in schwierigen Lebenssituationen – für Schwangere im geheimen.«
Alle stöhnten vor Begeisterung und vor Entsetzen, und wirklich, stellen Sie sich vor, es erschien eine M u
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