Wolf Shadow 01 - Wilks, E: Wolf Shadow 01
drehte sich um, öffnete den Kleiderschrank und nahm einen Morgenmantel heraus. Er war sehr hübsch, aus leuchtend blauer Seide, aber er schimmerte nicht so schön wie ihre Haut.
„Hast du Kaffeebohnen?“, fragte er hoffnungsvoll und stand ebenfalls auf. „Und eine Mühle? Ich könnte schon mal Kaffee machen.“
Sie enttäuschte ihn. „Ich habe nur gemahlenen Kaffee“, sagte sie und ging in das winzige Badezimmer. „Die Kaffeekanne steht neben dem Herd. Würdest du Harry füttern?“ Die Tür ging zu. Der Kater blieb beleidigt davor stehen.
Rule sah ihn an. „Ich glaube, sie will, dass wir Freunde werden, Harry.“
Harry starrte ihn nur wütend an und zuckte mit dem Schwanz.
„Stimmt, aber ich füttere dich trotzdem.“
Lily blieb eine ganze Weile unter der Dusche, um ihre Gedanken zu ordnen. An diesem Morgen stimmte aber auch gar nichts. Ich sollte darüber nachdenken, wie ich mich verteidigen will, dachte sie, als sie sich die Haare wusch. Aber sie hatte die Anklagepunkte noch nicht gesehen. Sie war bis auf Weiteres suspendiert, und was als Nächstes auf sie zukam, wusste sie nicht.
Sie würde sich später damit beschäftigen, beschloss sie und spülte das Shampoo aus ihren Haaren.
Überhaupt, Randall konnte sie mal! Sie war tief enttäuscht. Eigentlich hätte sie sich jetzt auf den Weg zur Arbeit machen müssen. Es gab Hinweise, denen sie nachgehen musste. Sie musste beispielsweise mit diesem Hochwürdigsten von den Azá sprechen. Und dann waren da noch Ginger und Mech. Gingers Aussage, sie habe Rule gesehen, war falsch. Sie hatte gelogen. Und Mech war nur allzu erpicht darauf gewesen, Rule etwas anzuhängen. Sie gehörten eindeutig dazu.
Und sie selbst war außen vor. Das FBI würde sich mit Ginger und Mech befassen, nicht sie. Zumindest nicht offiziell …
Als sie aus dem Bad kam, wusste sie, dass Rule den Kaffee gefunden hatte. Sie zog sich rasch im Schlafzimmer an und folgte dem verlockenden Aroma. Ihre Stereoanlage, die auf dem oberen Regal im Kleiderschrank stand, hatte er auch gefunden. Und ihre CD s. Einige davon waren auf dem Boden verstreut.
Aber er spielte nicht ihre Musik. Er hatte das Radio eingeschaltet und hörte Opernmusik. Splitternackt stand er mitten im Wohnzimmer und lauschte einer Sopranistin, die aus voller Brust irgendeine Arie trällerte.
„Rule!“, sagte Lily entgeistert. „Es ist halb acht in der Frühe!“
Er sah sie belustigt an und stellte das Radio leiser. „Ein Opernfan bist du offensichtlich nicht.“
„Nein.“ Sie warf einen missbilligenden Blick auf die Unordnung. „Willst du dir nicht etwas anziehen?“
„Wenn du dich dann wohler fühlst.“ Er drehte sich zu ihr um. Sein Körper zeigte deutliches Interesse an ihr, und er lächelte.
„Ich brauche Kaffee“, sagte sie und verschwand in der Küche. „Wo ist Harry?“
„Er hat gefressen, und dann ist er weg. Ich hoffe, du bist einverstanden, dass ich ihn rausgelassen habe.“
„Man kann ihn gar nicht drinnen halten. Er hat zu lange auf der Straße gelebt, um sich mit ein paar Quadratmetern zufriedenzugeben.“ Sie stellte fest, dass Harrys Futterschüssel noch fast voll war. Offenbar hatte Rule viel zu viel hineingetan.
Lily schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und blieb erst einmal in der Küche. Sie war angesichts der bescheidenen Größe ihres Apartments zwar nur ein unzulängliches Rückzugsgebiet, aber sie musste unbedingt ein bisschen für sich sein.
Das letzte Mal, seit sie neben einem Mann wach geworden war, war lange her. Und noch länger war es her, dass ein Mann bei ihr übernachtet hatte, in ihrer Wohnung. Sie wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. Es war ziemlich verwirrend. Sie hatte ihn gern bei sich … aber vielleicht empfand sie auch nur so, weil dieses Verbindungsding ihre Gehirnwindungen durcheinandergebracht hatte.
Sie würde sich später mit ihren Gefühlen befassen. Erst einmal interessierte sie, wie diese Auserwähltengeschichte überhaupt funktionierte. Wie konnte sie das herausfinden? Rule mochte zwar absolut ehrlich zu ihr sein, aber möglicherweise durchschaute er nicht alles. Das Ganze schien für ihn in einem religiösen Zusammenhang zu stehen, und der religiöse Glaube hielt Leute manchmal davon ab, die richtigen Fragen zu stellen. Wenn man überzeugt davon ist, auf alles bereits eine Antwort gefunden zu haben, hört man auf zu fragen.
Lily hatte jedoch noch eine Menge Fragen. Es wurde Zeit, ein paar von ihnen zu stellen. Sie nahm einen letzten
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