Wolf Shadow 01 - Wilks, E: Wolf Shadow 01
irritierend.
Aber vielleicht war das ja Absicht. „Sie wollten, dass ich herkomme. Ich bin ein Cop. Cops tragen Waffen, und ich denke, Sie sind kein Idiot. Sie hätten die Angelegenheit vor meinem Eintreffen klären können. Warum also diese dramatische Begrüßung? Wollten Sie mich verärgern, damit ich kein Mitleid mit Ihnen habe? Oder wollten Sie mich nur aus dem Konzept bringen?“
Sein sichtbares, tief liegendes Auge blickte amüsiert drein. „Wenn ich Sie hätte verärgern wollen, dann hätte ich mein Ziel wohl erreicht. Wollen Sie sich nicht setzen?“
Es stand kein Stuhl neben dem Bett, und Lily lag bereits ein patziger Kommentar auf der Zunge, aber Benedict hatte offenbar mehr drauf, als nur bedrohlich auszusehen. Er brachte ihr einen Sessel, den er so mühelos herbeitrug wie einen Gartenstuhl aus Plastik, und zog sich wieder auf seinen Posten neben der Tür zurück.
Lily musste sich entscheiden, ob sie ihm den Rücken zukehren oder lieber stehen bleiben wollte. Okay, dachte sie, als sie sich schließlich setzte. Isen Turner spielte also gern Spielchen. Damit konnte sie umgehen. Sie kam schließlich auch mit ihrer Großmutter klar. „Sie wurden angegriffen und beinahe getötet. Wer war das?“
„An einen Angriff erinnere ich mich nicht“, entgegnete er. „Vielleicht hatte ich eine Kopfverletzung und leide dadurch an Gedächtnisschwund. Sie riechen nach meinem Sohn. Nach dem jüngsten.“
„Allmählich bringen Sie mich wirklich auf die Palme.“
Er gab einen erstickten Laut von sich, und die buckelige Haut auf seinem Bauch zitterte. „Ah …“, sagte er kurz darauf. „Das hat wehgetan. Ich kann noch nicht lachen. Nettie, könntest du mal nach Toby sehen? Oder mir einen leckeren Punsch machen?“
„Du hast momentan noch nicht wieder ausreichend Zwölffingerdarm, um einen Punsch verdauen zu können, aber ich verstehe schon. Ich verschwinde, aber was immer du zu sagen hast, sag es schnell. Ich gebe dir fünfzehn Minuten.“
„Dreißig.“
„Fünfzehn, und danach wird wieder geschlafen.“
„Diese Frau versteht nicht zu feilschen“, murmelte er und schaute Nettie Two Horses nach, als sie das Zimmer verließ und die Tür hinter sich schloss.
Lily fand, dass Nettie ihre Sache ziemlich gut machte. Man feilschte nur, wenn man musste. Und sie hatte es offensichtlich nicht nötig, was sehr interessant war. Genauso interessant war allerdings, dass der Rho den klingenbewehrten Benedict nicht hinausschickte. „Eine Viertelstunde ist nicht viel“, sagte sie. „Wir haben beide einiges loszuwerden. Vielleicht sollten wir ohne Umschweife zur Sache kommen.“
„Warum nicht! Sie lassen sich nicht aus der Bahn werfen, obwohl ich mir alle Mühe gebe. Sie riechen nicht mal nach Angst. Können Sie mir das erklären?“
„Ihr Sohn – der hinter mir, mit dem großen Leute-Aufschlitzer in der Hand – sticht nicht zu, ohne dass Sie es ihm befehlen. Und Sie haben mich nicht herbestellt, um mich kaltzumachen.“
Isen Turner zog eine buschige Augenbraue hoch, und plötzlich entdeckte Lily doch eine Ähnlichkeit mit Rule – dieser Gesichtsausdruck kam ihr bekannt vor. „Und doch haben selbst vernunftbegabte Leute Angst vor uns, zumindest anfangs. Mit logischem Denken kann man Angst zwar unterdrücken, aber nicht besiegen.“
„Neugier ist auch gut gegen Angst. Und ich bin sehr neugierig. Zum Beispiel, was Ihre Angreifer angeht. Sie erinnern sich nicht an sie.“ Lily nickte, als leuchte ihr das vollkommen ein. „Aber wenn ich Sie bitten würde, Vermutungen anzustellen, wen würden Sie dann verdächtigen?“
„Nun ja.“ Er schmunzelte. „Ich würde mich fragen, ob die Leidolf daran beteiligt waren. Wie ich hörte, soll drei ihrer Clanangehörigen ein bedauerliches Schicksal ereilt haben, als sie in Wolfsgestalt waren. Sie sind anscheinend in eine Schlägerei geraten.“
„Und die Namen von diesen dreien haben Sie zufällig auch gehört?“
„Leider nicht, aber das ist nicht weiter von Belang. Sie sind tot.“
Und da es kein Verbrechen war, Lupi in Wolfsgestalt zu töten, gab es in dieser Hinsicht auch nichts zu ermitteln. „Ich wüsste zu gern, wer das Oberhaupt des Clans der Leidolf ist.“
„Das kann ich mir denken.“ Er lächelte und schwieg sich aus.
Diesen Trick hatte Lily selbst schon häufig angewendet. Man ließ absichtlich eine Gesprächspause entstehen, und die meisten Leute sahen sich genötigt, sie zu füllen – und dabei rutschte ihnen oft mehr heraus, als sie eigentlich
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