Wolf Shadow Bd. 3 - Dunkles Verlangen
Wölfe lebten nicht nach der Uhr. Für sie war die Zeit immer in der Gegenwart. Also hatte er sich auf ein Bild mit einer Uhr konzentriert, auf der sechs Uhr zehn angezeigt wurde und sich selbst den Willen der Dame in Erinnerung gerufen.
Der Wandel hatte wehgetan. Das war immer so, aber der Schmerz war noch größer, wenn er nicht geerdet war, und er hatte sich für die Verwandlung ihr Schlafzimmer im zweiten Stock ausgesucht, wo er die Uhr sehen konnte. Und Lily. In Wolfsgestalt hatte er sich auf den Holzboden gelegt und ihr beim Schlafen zugesehen. Und selbst als er sie ansah und ihrer beider Duft einatmete, war er voller Trauer gewesen.
Dummer Wolf. Er schob die Kartoffeln in die heiße Pfanne. Die Lily, die in Dis bei ihm gewesen war, war nicht fort. Sie lebte in dieser Lily weiter … obwohl diese Lily sich nicht daran erinnerte. Sie wusste nicht, wie der Himmel in Dis aussah, sie kannte nicht die Schönheit eines Drachengesangs, sie konnte sich nicht daran erinnern, was sie getan hatte, als sie das erste Mal aufgewacht war, nackt und verängstigt, getrennt von ihrer Erinnerung und allein an einem furchtbaren Ort … allein bis auf einen Dämon und einen Wolf.
Sie hatte die Hand nach ihm ausgestreckt und ihre Finger in seinem Fell vergraben. Sie hatte ihn erkannt.
Rule schüttelte den Kopf und nahm die Zwiebel, die er vorhin bereitgelegt hatte, und ein Messer. Der Wolf verstand es nicht, aber er war nicht nur Wolf. Er konnte sich für sie beide erinnern, und Lily war hier, hier bei ihm. Er hatte sie nicht verloren.
Er öffnete die Backofentür, und Hitze schlug ihm entgegen, trocknete die Haut in seinem Gesicht aus.
Rule erstarrte. Dann nahm er vorsichtig die Pfanne und stellte sie auf das Gitter in den Ofen. Er richtete sich auf, schloss die Backofentür und stellte die Zeitschaltuhr.
Es war wieder passiert.
„Ich habe das Brot fertig geschnitten“, verkündete Toby.
Er brachte ein Lächeln zustande und wandte sich um. „Sehr gut.“ Hatte Lily dem Jungen geholfen? Jetzt war sie dabei, Teller auf den Tisch zu stellen, aber vielleicht hatte sie ihm vorher geholfen. Die Scheiben waren ungewöhnlich gleichmäßig.
Er wusste es nicht. Offenbar hatte er die Frittata fertig zusammengestellt, aber er hatte keine Erinnerung daran. Besser, er machte keine Bemerkung zu dem Brot, sonst … sonst wüsste sie sofort Bescheid.
Da verstand er, dass er es ihr nicht sagen würde. Dieses Mal nicht.
Es klingelte an der Tür. „Ich mach auf.“
Benedict stieß sich von der Wand ab. Rule warf ihm einen verärgerten Blick zu, den Benedict nur kühl erwiderte. Er würde nicht mehr allein die Tür aufmachen dürfen – oder essen, schlafen oder pissen, dachte er.
Der große ältere Bruder folgte ihm schweigend wie ein Schatten durch das Esszimmer. Er versuchte ihn so gut es ging zu ignorieren.
Viel Zeit konnte nicht vergangen sein. Er war gerade dabei gewesen, die Zwiebel in Scheiben zu schneiden. Als Nächstes wäre die grüne Paprika an der Reihe gewesen. Fünf Minuten. Als die Kartoffeln angebraten waren, war er wohl …
„Ihr Essen kommt langsam“, verkündete Li Lei Yu von ihrem vorübergehenden Thron im Wohnzimmer, einem Lehnsessel, in den sie zweimal hineingepasst hätte. Heute trug sie westliche Kleidung: eine schwarze Hose mit einer strengen goldfarbenen Bluse, bis zum Hals geknöpft. Beides war aus Seide.
„Ich hatte Hilfe.“
Li Qin sah von dem Magazin, das sie las, auf und lächelte. Harry rekelte sich schnurrend auf ihrem Schoß. „Guten Morgen nochmals.“
Benedict nickte ihr zu und lächelte. Rule lächelte ebenfalls. Man konnte nicht anders, als Li Qin anzulächeln. Selbst die verdammte Katze mochte sie. „Entschuldigen Sie mich für einen Moment, meine Damen. Ich muss die Tür aufmachen.“
„Ihr gut bewaffneter Bruder wird die Tür aufmachen“, sagte Madame Yu und glitt zu seiner Überraschung aus dem Sessel, um aufzustehen. „Sie kommen hierher.“
Rule blieb höflich. „Madame, ich verehre Sie, aber manchmal frage ich mich, warum.“
„Sie mögen es nicht, wenn man Sie – wie heißt es noch gleich? – herumkommandiert.“ Ihr seltenes Lächeln blitzte auf, und einen Moment lang meinte er eine viel jüngere Frau vor sich zu haben. „Ich mag das auch nicht. Aber ich bin viel älter als Sie, also werden Sie mir das Vergnügen machen.“
„Ich glaube, über die Jahre haben Ihnen viele Menschen das Vergnügen gemacht.“ Aber er nickte Benedict zu, und während sein Bruder zur
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