Wolf Shadow Bd. 3 - Dunkles Verlangen
dünnte der Verkehr nach Mitternacht aus. Aber die Straßen wurden nicht ganz leer. Lily betrachtete die vorbeirauschenden Scheinwerfer auf der anderen Seite des Mittelstreifens und wie sie in den Windschutzscheiben mit den Rücklichtern und mit den Straßenlampen verschmolzen. Ungeduldig tippte sie mit den Fingern auf ihren Oberschenkel.
Sie saßen in dem Mercedes, den Rule gemietet hatte, nicht in ihrem Dienstwagen, einem Ford. Es war kein Cabrio wie sein eigener Wagen, aber er war ebenfalls mit allem Drum und Dran ausgestattet.
Lily verstand nicht, warum Rule nicht seinen Wagen nach D.C. hatte mitnehmen wollen. Das hätte zwar länger gedauert, aber er hasste es, zu fliegen. Wegen einer leichten Klaustrophobie, was er allerdings abstritt, konnte er nur in der ersten Klasse reisen. Vielleicht bestand er deswegen darauf, zu fliegen. Er kämpfte lieber gegen eine Schwäche, als ihr aus dem Weg zu gehen.
Das verstand sie.
Es hatte außer Frage gestanden, dass er mit ihr nach Washington kommen würde. Selbst wenn sie mit einer so langen Trennung klargekommen wären – das Band der Gefährten hätte nicht zugelassen, dass sie sich an entgegengesetzten Küsten aufhielten.
Das Band der Gefährten. Das hatte sie gemeint, als sie gesagt hatte, sie sei Rules Auserwählte – nicht, dass er sie ausgewählt hätte oder sie ihn. Rules Volk glaubte daran, dass ihre Dame den Knoten für sie geknüpft hatte – einen Bund bis ans Lebensende, gegen den sie sich am Anfang gewehrt hatte wie verrückt. Aber zuerst hatte sie auch gedacht, es würde sich um eine Verbindung auf rein körperlicher Ebene handeln. Auf sexueller Ebene.
Aber der Wahnsinnssex war nur die eine Seite. Sie konnten sich nicht zu weit voneinander entfernen; wenn die Entfernung zwischen ihnen zu groß wurde, verloren sie das Bewusstsein. Auch wenn es sie verrückt machte, dass sich diese Grenze nach keinen für sie erkennbaren Regeln verschob, lernte sie allmählich, damit zu leben. Außerdem wusste sie immer, wo Rule war – in welcher Richtung er sich befand und wie weit entfernt ungefähr.
Vielleicht hatte das Band der Gefährten auch einen spirituellen Aspekt, aber darüber wollte Lily lieber nicht nachdenken. Religion war ein heikles Thema für sie, und der Tod hatte ihr nicht so viele Antworten gegeben, wie man meinen könnte.
Sie warf dem Mann am Steuer einen Blick zu und lächelte, als sie daran dachte, wie er sie heute Morgen geweckt hatte. Was auch immer das Band der Gefährten zu ihrer Beziehung beitrug, verliebt hatte sie sich von ganz allein in ihn.
Sie liebte ihn. Und er liebte sie. So einfach war das – und manchmal auch beängstigend.
Rule hatte so viele Ecken und Kanten, und vieles an ihm war immer noch ein Geheimnis für sie … aber das Wichtigste wusste sie. Er war intelligent und oft freundlich. Er konnte lachen, und er konnte zuhören. Meistens war er ganz vernünftig, obwohl er manchmal auch ein wenig selbstherrlich war.
Das war keine Überraschung für sie gewesen. Rule war der Thronfolger, der Lu Nuncio , seines Clans. Wenn sein Vater starb, würde er das Sagen haben. Er würde der Rho der Nokolai. Lily hoffte, dass Isen Turner noch sehr, sehr lange leben würde.
Was gut möglich war. Erst kürzlich hatte sie etwas erfahren, was sie ganz schön durcheinandergebracht hatte: Lupi alterten ungefähr halb so schnell wie Menschen.
Und noch etwas wusste sie über Rule: Im Moment war er schwer beleidigt. „Na gut“, sagte sie. „Lass uns reden. Diese unterschwellige Wut hindert mich am Denken.“
„Sollte ich mich geschmeichelt fühlen?“
„Welche Laus ist dir über die Leber gelaufen?“
„Wenn das deine blumige Art ist, mich zu fragen, warum ich sauer bin …“
„So bin ich eben. Blumig.“
„Du hast dich zwischen eine Schusswaffe und ihr Ziel gestellt.“ Wenn er wütend war, wurde Rule nicht laut. Er wurde ganz ruhig. Er senkte die Stimme, bis sie summte wie eine überlastete Hochspannungsleitung. „Dieser Cop wollte abdrücken, und du hast dich in die Schusslinie gestellt.“
„Es hat doch geklappt, oder nicht?“
Rule knurrte. Es war ein empörtes Knurren und kein Laut, den menschliche Kehlen so einfach hervorbringen konnten.
„Hör mal, was der Cop vorhatte, war idiotisch. Paul war für niemanden eine Bedrohung, es sei denn, jemand hätte auf ihn geschossen. Und ein normaler Schuss reizt einen Lupus eher und hält ihn nicht auf. So schafft man es als Cop nicht bis zur Rente. Aber die meisten Polizisten
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