Wolf Shadow Bd. 3 - Dunkles Verlangen
anbieten, diese zu erfüllen. Möglicherweise nimmt er mein Angebot nicht an. Aus Stolz oder aus dem Wunsch, einen Nokolai zu beschämen. Oder aus Pragmatismus. Wenn er akzeptiert, geht er auch gewisse Verpflichtungen ein.“
„Was meinst du mit ‚Sohnespflicht‘? Was für eine Pflicht?“
„Im Grunde nichts anderes als das, was du auch deinem Vater schuldest. Nicht Gehorsam, aber Respekt, finanzielle Unterstützung, wenn nötig. Dass ich bei gewissen Anlässen dabei bin, wenn er es wünscht.“
„Wenn du dabei bist, muss auch ich dabei sein, darum würde ich gern wissen …“ Sie hielt inne und sah finster auf ihre Handtasche hinunter, in der ihr Telefon summte. Sie holte es hervor, warf einen Blick auf das Display und seufzte. „Natürlich.“ Sie ging ran. „Hallo, Dad. Weißt du, dass es hier nach ein Uhr morgens ist?“
Rule lächelte leise. Lilys Vater hatte den Zeitunterschied nicht vergessen. Er war Börsenmakler, und die Wall Street lag in ihrer Zeitzone. „Sag ihm, wir werden trotzdem versuchen, Weihnachten zurückzufliegen.“
Sie warf ihm einen missbilligenden Blick zu. „Ja, das war Rule. Er wird … ich weiß, aber nach dem, was hier heute Abend passiert ist …“
Sie waren fast an ihrer Unterkunft angekommen. Die Straße war ruhig und die Gegend sehr städtisch, aber gepflegter als das Viertel, in dem Paul gelebt hatte. Hier waren die Reihenhäuser aus Backstein oder aus Stein oder mit Holz verkleidet, mit gepflegten Blumenkästen und geschmackvoller Weihnachtsbeleuchtung. In dem winzigen Restaurant an der Ecke gab es raffinierte Vorspeisen aus Meeresfrüchten mit Mango Chutney und Safranaioli.
In mancher Hinsicht mochte Rule Pauls Viertel lieber.
„Sag Mutter, wir versuchen es. Mehr kann ich nicht versprechen.“ Lily machte eine Pause. „Wie soll ich das machen? Sie redet ja nicht mit mir.“
Als Rule mit der anderen Lily in der Hölle festsaß, war irgendetwas schiefgelaufen zwischen dieser Lily und ihrer Mutter. Sie hatte ihm nur wenig darüber erzählt, und er hatte sich in Geduld geübt, in der Hoffnung, dass sich die Dinge nach ihrer Rückkehr nach San Diego klären würden, doch wenn sie nun über die Feiertage nicht nach Hause fliegen würden …
„Du weißt, dass ich dir nicht viel sagen kann“, sagte sie jetzt. „Aber du wirst es sowieso in der Zeitung lesen. Ein Dämon ist gekommen und … nein, nein, mir ist nichts passiert.“ Pause. „Ihm geht es auch gut, aber jemand anders ist getötet worden. Das ist auch der Grund, warum … nein. Niemand, den du kennst.“
Rule fuhr an dem eleganten Bed-and-Breakfast vorbei, wo er auf früheren Reisen nach Washington ein paar angenehme Nächte verbracht hatte. Ob hier oder in San Diego, er brachte selten Frauen mit nach Hause. Ein paar schon – die wenigen, die nicht nur Geliebte, sondern auch Freundinnen geworden waren.
Dieses Leben war vorbei. Jetzt gab es für ihn nur noch Lily. Er hatte in seinem Leben so viele Frauen gehabt, doch jetzt gab es nur noch Lily. Selbst wenn es möglich gewesen wäre, hätte er nichts daran ändern wollen, aber heute Nacht …
Er spürte es immer noch. Das Lied des Mondes dröhnte in ihm wie eine Basstrommel, die auf seinen Knochen spielte und deren Klang von seinem Blut weitergetragen wurde.
Das war nicht normal. Es war noch längst nicht Vollmond, und obwohl er schon einmal gegen die Verwandlung angekämpft hatte, erfolgreich, wenn auch so knapp, dass er sich schämte, hatte er sich am Ende doch verwandelt. Das sollte eigentlich den Sog mindern. Und doch stauten sich die Energie in seinem Bauch und das Verlangen, und der Wolf war nah. Ganz nah.
Er wollte Sex.
In dem Haus, in dem sie wohnten, gab es eine abgetrennte Garage am Ende des schmalen Gartens. Er sah seine Gefährtin nicht an, als er in die schmale Gasse einbog. Was er jetzt wollte, hatte nichts mit Liebe und Zärtlichkeit zu tun. Er wollte in einen Körper hineinstoßen, den Duft einer erregten Frau riechen, sich im Rausch eines Orgasmus verlieren.
Nach dem Sex verschwand das Verlangen, sich zu verwandeln. Nettie nannte das „angewandte Evolution“, weil dieses Verhalten dazu dienen würde, mehr Kinder zu zeugen. Wenn man bedachte, dass sein Volk eine sehr niedrige Fortpflanzungsrate aufwies, könnte das tatsächlich stimmen, dachte Rule, obwohl er sich fragte, ob die Gesetze der Evolution tatsächlich für Andersblütige galten. Aus welchem Grund auch immer, aber Sex half. Sogar in der Jugend, als Selbstbeherrschung
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