Wolf unter Wölfen
Wachtraum zu offenen, die mit Gitterstäben gesichert war. Auf ihre Bitte, ihr irgend etwas zu essen zu bringen, gleichviel was, der Herr Polizist habe es ihr versprochen, hatte der Gleichgültige erst gemurrt: Darauf sei man hier nicht eingerichtet, damit müsse sie warten, bis sie auf den Alex komme. – Nach einer Weile war er dann aber doch mit einem starken Kanten trockenen Brotes und einem Becher Kaffee erschienen. Beides hatte er ihr, ohne aufzuschließen, durch die ziemlich weit stehenden Gitterstäbe gereicht.
Der halbverhungerten Petra hätte nichts Zweckmäßigeres als erste Nahrung gegeben werden können. Der alte, sehr harte Brotkanten zwang sie zum Abbeißen sehr kleiner Stücke, die lange gekaut werden mußten. Zuerst überfiel sie bei diesem langsamen Essen immer von neuem wellenartig Übelkeit; der Magen weigerte sich, die Speise anzunehmen, seine Tätigkeit wieder zu beginnen. Auf dem Sitzbrett hockend, denKopf mit geschlossenen Augen in die Zellenecke gepreßt, von einem Schweißausbruch der Schwäche in den nächsten gehetzt, ging Petra heldenhaft gegen diese Übelkeiten an. Immer von neuem zwang sie die Speise in den Magen zurück.
Ich muß essen, dachte sie dumpf und grenzenlos erschöpft, aber ohne jede Nachgiebigkeit. Ich esse ja nicht nur für mich!
So dauerte das Vertilgen dieses Brotkantens, den ein dreijähriges Kind in fünf Minuten bewältigt hätte, bei Petra fast eine halbe Stunde. Als die ihn aber ganz verzehrt hatte, erfüllte sie ein physisches Wärmegefühl, das dem seelischen Gefühl von Glück sehr nahe kam.
Während sie in dieser Zeit nichts von der Umwelt wahrgenommen hatte, sah sie jetzt, fast schon völlig erholt, dem Leben im Wachtraum mit Interesse zu. Diese Welt war ohne allen Schrecken für sie. Wer daher kam, wo sie zu Haus gewesen, für den hatten weder Gier noch Gemeinheit, weder Laster noch Trunkenheit Schrecken – all dies gehörte zum menschlichen Leben, war eine Äußerung dieses Lebens, wie freilich auch Wolfgangs Lächeln und Umarmung, Freude an einem neuen Kleid, das Fenster eines Blumenladens zum Leben gehörten.
Es ereignete sich in der nächsten halben Stunde auch nichts Besonderes, das sie hätte erschrecken müssen. Ein spitznäsiger, verhungert aussehender Junge wurde gebracht, der, wie sich aus der halblauten Vernehmung ergab, versucht hatte, in einem Warenhaus ein Paar Schuhe mitgehen zu lassen. Ein ziemlich angetrunkener Zechpreller. Eine unglücklich aussehende Frau in einem Umschlagetuch, die anscheinend gewerbsmäßig möblierte Zimmer mietete, nur mit der Absicht, etwas mitgehen zu lassen. Ein Mann, der Doubléuhren als schwergoldene verkaufte und Käufer genug fand, da er vorgab, diese einzigartige Gelegenheit stamme aus einem Taschendiebstahl.
All dies von der Welle des zur Rüste gehenden Tages in die Wachtstube geschwemmte Strandgut ließ das Verhör mit ruhiger Gelassenheit über sich ergehen und wanderte ergebenin seinen Käfig, dessen Tür der Uniformierte gleichgültig abschloß.
Dann wurde es laut. Zwei Schutzleute brachten ein tobendes, völlig betrunkenes Frauenzimmer. Sie trugen es eher, als daß es zwischen ihnen ging. Sie hörten sich die unflätigsten Beschimpfungen mit einer fast freundlichen Gelassenheit an und machten die Meldung, daß dies Mädchen ihrem ebenso betrunkenen Kavalier die Brieftasche »gezogen« habe.
Ein dritter Schutzmann brachte den bleichen, dümmlich aussehenden Kavalier, der sichtlich wenig von dem begriff, was um ihn vorging, da er wesentlich stärker mit dem beschäftigt war, was sich in ihm ereignete. Denn ihm war sehr schlecht.
Das Mädchen vereitelte mit ihrem betrunkenen Kreischen jede Protokollaufnahme; der gelbliche, nur halblaute Sekretär konnte sie nicht zur Ruhe zwingen. Immer wieder fuhr sie mit ihren langen, lackroten, aber schmutzigen Krallen nach den Gesichtern der Polizisten, des Sekretärs, auch ihres Kavaliers.
Petra Ledig sah dies Mädchen mit heißem Erschrecken. Es erinnerte sie an eine Zeit ihres Lebens, die sie versunken glaubte und derer sie sich heute noch schämte. Sie kannte dies Mädchen zwar nicht bei Namen, aber doch von seiner Tätigkeit im besseren Westen her, Tauentzienstraße, Kurfürstendamm, nach Lokalschluß auch in der Augsburger Straße. Sie wurde dort in ihrem Jagdrevier nur die »Hühnerweihe« genannt, wohl wegen der dünnen, krummen Nase und wegen ihres unbändigen Hasses auf jede Konkurrenz.
In jenen schlimmen Tagen, da Petra den Wolfgang noch nicht
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