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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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gegangen?«
    Petra nickte, kurz entschlossen. »Ja. Früher, vor einem Jahr. Jetzt schon lange nicht mehr.«
    Auch der Sekretär nickte, sehr gleichgültig. Er ging wieder zu seinem Tisch. Blieb aber noch einmal stehen, wandte sich und fragte: »Sind Sie wirklich krank?«
    Petra schüttelte energisch den Kopf. »Nein. Nie gewesen.«
    Wieder nickte der Sekretär, ging vollends an den Tisch und machte sich an seine unterbrochene Schreiberei.
    Das Leben in der Wachtstube lief weiter, vielleicht waren manche der Festgenommenen in Angst, in Unruhe und Sorge, vielleicht quälten Träume die Trunkenen – äußerlich war alles glatt, ruhig, teilnahmslos.
    Bis kurz nach sechs die telefonische Meldung eintraf, der Oberwachtmeister Leo Gubalke liege hoffnungslos mit Bauchschuß. Er werde wohl noch vor Mitternacht sterben. Von da an änderte sich das Gesicht des Reviers vollkommen. Ständig klappten die Türen, immer kamen und gingen Beamte in Zivil, in Uniform. Flüsterten miteinander; ein dritter trat dazu, einer fluchte. Um halb sieben kamen dann die Kameraden Gubalkes, in deren Kampf mit den beiden Ringvereinen er grade hatte eingreifen wollen, als ihn die Mörderkugel traf. (Der einzige Schuß, der überhaupt gefallen war.) Das Flüstern, das Tuscheln verstärkte sich. Es wurde auf den Tisch geschlagen; ein Polizist stand finster in einer Ecke und wippte ununterbrochen mit seinem Gummiknüttel; die Blicke, die die Gefangenen streiften, waren nicht mehr gleichgültig, sie waren finster.
    Ganz besonders nachdrücklich aber waren die Blicke, die auf Petra Ledig haftenblieben. Jedem erzählte der Sekretär, daß dies »die letzte Amtshandlung von Leo« war. Weil er dieses Mädchen festgenommen hatte, war Gubalke zwanzig Minuten zu spät gekommen. Wäre er pünktlich gewesen, geschlossen mit den andern ausgerückt, hätte ihn die Mörderkugel vielleicht nicht – nein, bestimmt nicht! – getroffen!
    Der schwer und qualvoll Sterbende dachte jetzt vielleichtan seine Frau und an die Kinder. Und vielleicht freute es ihn in der Hölle seiner Schmerzen, daß sich wenigstens seine Mädchen so wuschen wie er. Er hinterließ eine Spur seines Wesens auf dieser Welt, ein kleines Zeichen dessen, was er für Ordnung gehalten hatte. Oder er dachte, von der Todesahnung überschattet, daran, daß er nun nie in seinem Leben auf einem sauberen Büro sitzen und ordentliche Listen führen würde. Oder an seinen Laubengarten. Oder daran, ob die von der Sterbe- und Begräbniskasse bei der jetzigen Geldentwertung so viel zahlen würden, daß es zu einem anständigen Begräbnis reichte. An vielerlei konnte der Sterbende denken – aber die Wahrscheinlichkeit, daß er an seine »letzte Amtshandlung« Petra Ledig dachte, war sehr gering.
    Und doch bemächtigte sich der Sterbende dieses Falles, er sonderte ihn von allen andern. Die Augen der Kollegen sahen nicht mehr ein belangloses junges Mädchen dort auf der Bank sitzen – nicht umsonst konnte sich der Sterbende ihretwegen zwanzig Minuten verspätet haben! Die letzte Amtshandlung Gubalkes mußte wichtig gewesen sein.
    Der schwere, große, traurig aussehende Reviervorsteher mit dem grauen Wachtmeisterschnurrbart kam in den Raum, stellte sich neben den Tisch des Sekretärs und fragte, mit den Augen deutend: »Das ist sie –?«
    »Das ist sie!« bestätigte der Sekretär halblaut.
    »Er hat mir nur gesagt, daß sie mit Spielern zu tun hat. Weiter nichts.«
    »Ich habe sie noch nicht vernommen«, flüsterte der Sekretär. »Ich wollte warten, bis – er wiederkäme.«
    »Vernehmen Sie sie«, sagte der Reviervorsteher.
    »Die Betrunkene vorhin, die solchen Krach gemacht hat, hat sie erkannt. Sie ist auf den Strich gegangen, hat es mir auch zugegeben, behauptet allerdings, nicht mehr in letzter Zeit.«
    »Ja, er hatte einen scharfen Blick. Er sah alles, was nicht ganz in Ordnung war. Er wird mir sehr fehlen.«
    »Uns allen. Mächtig fleißig und ein guter Kamerad, gar kein Streber.«
    »Ja – uns allen. – Vernehmen Sie sie. Denken Sie daran, daß das einzige, was er gesagt hat, etwas von Spielern war.«
    »Daran denke ich schon. Wie kann ich das vergessen?! Ich werde sie fest in die Zange nehmen.«
    Petra wurde an den Tisch geführt. Hätte sie nicht schon aus den häufigen Blicken, aus dem Stehenbleiben an ihrer Zelle gemerkt, daß etwas im Gange war – die Art, wie der gelbliche Sekretär
nun
mit ihr sprach, mußte ihr verraten, daß die Stimmung sich verändert hatte, und zu ihren Ungunsten. Etwas

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