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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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wenn er Petra in dieser kläglichen Lage wiedersah?
    Pfeifend überquert er den Alexanderplatz und biegt in die Landsberger Straße ein. Er denkt intensiv darüber nach, was Petra mehr Freude machen würde: ein Zigarrenladen oder ein Blumengeschäft? Oder noch lieber eine Eisdiele –?

9
    Der Polizeioberwachtmeister Leo Gubalke war bestimmt kein Mann, der – dienstlich oder außerdienstlich – zu Übergriffen, kleinen Gehässigkeiten, Schikanen neigte. Jene gefährlichste Versuchung für jeden Mann, in dessen Mund das Wort der Macht gelegt ist: »Gehorch oder krepier!« – sie versuchte ihn nie. Wenn ihm zu Haus oder im Dienste doch ab und an jene kleinen Gemeinheiten unterliefen, die dem Selbstgefühl keines Menschen erspart bleiben, so war es immer sein übertriebener Sinn für Ordnung und Pünktlichkeit, der ihn verführte.
    Dieser Sinn hatte ihn das Mädchen Petra Ledig aus dem Torgang in der Georgenkirchstraße mitnehmen lassen, und dieser gleiche Sinn war es auch, der ihn auf die vorwurfsvolle Frage seines Reviervorstehers: »Aber, Gubalke, Mensch, ausgerechnet Sie gehen zwanzig Minuten nach?!« stramm melden ließ: »Habe eine Festnahme gehabt. Mädchen – hat mit Spielern zu tun.«
    Dieser Nachsatz, den er ohne Verspätung nie gesagt hätte– denn nichts lag ihm ferner, als der Petra Ledig Übles zu tun –, war für einige Stunden vorläufig das einzige, was die Wache über diese Festnahme erfuhr. Oberwachtmeister Gubalke hatte nur das halbnackte Mädchen von der Straße bekommen wollen. Er hatte vorgehabt, sie auf eine Bank in der Wache zu setzen, ihr etwas zu essen zu verschaffen. Dann hätte man im Laufe des Abends gesehen, was eigentlich an diesem Mädchen dran war, hätte irgendeinem Fürsorgeverein ein paar Kleider abgejagt und die Kleine nach einer ernsten Auseinandersetzung über Ordnung und Liederlichkeit wieder in das Leben hinaus entlassen.
    Statt diese guten Absichten durchzuführen, meldete Herr Gubalke: »Hat mit Spielern zu tun.« Eine nur mit gutem Herzen, nur durch Mitleid entschuldigte Zeitversäumnis blieb eine Unpünktlichkeit; dieser Satz von den Spielern machte aus der Unpünktlichkeit eine notwendige Amtshandlung. Bis zu der Sekunde, da dieser Satz, nicht wieder einholbar, seiner Zunge entlief, hatte Gubalke auch nicht im Traume daran gedacht, dem Mädchen Petra irgendeine Mitschuld an der ihm auch nur durch Weiberklatsch bekannten Spielleidenschaft ihres Freundes zuzuerkennen. Aber der Mensch ist ein schwaches Geschöpf, und bei den meisten – Männern wie Frauen – ist die Zunge der Schwachheit schwächster Punkt. In dem Bedürfnis, sich zu entschuldigen, vermengte sich ihm Petras Schicksal mit dem eines Spielers, und um es nur recht gut zu machen, wurde der Spieler zu Spielern.
    Es ist ganz sicher, daß Oberwachtmeister Leo Gubalke in diesem Augenblick gar nicht die Tragweite dessen, was er der Petra Ledig mit diesem einen Satz zufügte, übersah. Er schnallte hastig die Pistole um, hakte den Gummiknüppel fest und dachte nur daran, daß er mit höchster Geschwindigkeit zu seinen Kameraden in der Kleinen Frankfurter Straße stoßen mußte, die dort mit irgendwelchen rivalisierenden Ringvereinen ins Gedränge geraten waren. Er hatte es so eilig, daß er dem Mädchen auf der Wache beim Fortlaufen nicht einmal einen Blick gönnte. Wenn er noch einmal an siegedacht hat, so bestimmt ohne eine Spur von schlechtem Gewissen. Jedenfalls war sie erst einmal von der Straße und in Sicherheit auf der Wache. In spätestens zwei Stunden würde er zurück sein und die Geschichte in Ordnung bringen.
    Leider aber lag Oberwachtmeister Leo Gubalke schon zwei Stunden später sterbend in einem Krankenhausbett am Friedrichshain, die Gedärme von einer hinterlistigen Mörderkugel zerfetzt, und starb Stunde um Stunde sehr schmerzhaft und sehr mühsam den unordentlichsten, schmutzigsten Tod, der einen so säuberlichen, ordentlichen Mann erledigen kann. Der Fall Petra Ledig war seiner Einwirkung entrückt.
    Wenn ihn der Sterbende auch weiter beeinflußte. Die zwei Stunden, bis die Nachricht von der Ermordung Gubalkes die Wache erreichte und erregte, hatte Petra Ledig noch ziemlich gefaßt und unbelästigt verbracht. Bis auf einen kleinen Zwischenfall war nichts Erwähnenswertes mit ihr geschehen. Irgendein gleichgültiger Uniformierter – weder gut noch böse – hatte sie in eine kleine Zelle geschoben, anzusehen fast wie ein Tierkäfig im Zoo, mit drei festen Wänden und einer vierten, nach dem

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