Wolf unter Wölfen
Nee, lieber nicht –!
Trotzdem bleibt er noch lange vor dem Geldschrank stehen, er fasziniert ihn eben doch.
Raus aus all dem Dreck! denkt er. Sie kitschen lange nicht alle. In Berlin soll man falsche Papiere billig kriegen. Ich möcht nur wissen, wo. Wie lange das wohl dauert, bis der Leutnant erfährt, ich hab den Brief nicht abgegeben –? Na, heute abend verpassen sich die beiden erst mal. Wirst du hungrig ins Bettchen müssen, liebe Weio –!
Er grinst schadenfroh.
Es klopft wieder, und rasch tritt Meier von dem Geldschrank fort und lehnt sich möglichst ungezwungen gegen die Wand, ehe er »herein« ruft – diesmal ganz manierlich. Der Umstand wäre aber gar nicht nötig gewesen, es ist auch diesmal niemand Rechtes, sondern bloß die Aufwartung, die Kutscherfrau mit den acht Bälgern, die Hartig, die reinkommt.
»Abendessen, Herr Inspektor«, sagt sie.
Meier möchte nicht gerne, daß sie das verdreckte Bett drüben in seinem Zimmer sieht (das kann nachher die Amanda ein bißchen zurechtmachen!), er hat jetzt keine Lust auf Stunk. »Stell’s da auf den Schreibtisch«, sagt er. »Was gibt’s denn?«
»Ich weiß nicht, was die Weiber mit Ihnen haben«, sagt die Hartig und nimmt einen Deckel von der Schüssel. »Jetzt fängt auch die Armgard von drüben an … Frisch gebratenes Fleisch und Rotkohl am Abend für den Inspektor …«
»Schiete!« sagt Meier. »Mir wäre ein Hering lieber. – Äx – all das Fett! – Ich habe nämlich einen gehoben.«
»Das sieht man«, bestätigte die Hartig. »Daß ihr Männer das Saufen nicht lassen könnt! Wenn wir Frauen es nun auch so machten? – War die Amanda auch mit?«
»I wo! Die brauch ich doch nicht zum Saufen!« Er lacht. Plötzlich ist er ganz munter und aufgekratzt. »Wie ist es denn, Hartig? Magst du den Fraß? Ich eß heut nicht.«
Die Hartig strahlt. »Da wird mein Oller aber lachen! Ich koch uns noch schnell ein paar Kartoffeln dazu, dann reicht’s für ihn und mich!«
»Nee!« sagt Meier gedehnt von seiner Wand her. »Das ist für dich, Hartig, nicht für deinen Ollen. Denken Sie, ich füttere den zu Kräften?! So blau! Nee, wenn Sie den Fraß wollen, dann müssen Sie ihn hier aufessen. Und gleich!«
Er starrt sie an.
»Hier –?« fragt die Hartig und starrt Negermeier wieder an.
Ihre Stimmen sind beide anders geworden, fast leise.
»Hier!« antwortet Negermeier.
»Dann will ich mal«, sagt die Hartig noch leiser, »die Fenster zumachen und die Vorhänge ein bißchen vorziehen. Wenn mich jemand hier essen sieht …«
Meier antwortet ihr nicht, aber er folgt ihr mit den Augen, wie sie die beiden Fenster schließt und sorgfältig die Gardinen vorzieht. »Schließ auch ab!« sagt er leise.
Sie sieht ihn an, dann tut sie es. Sie setzt sich vor das Tablett, das auf dem Schreibtisch steht. »Na, das soll mir aber schmecken!« sagt sie mit gemachter Munterkeit.
Er antwortet wieder nicht. Er sieht ihr aufmerksam zu, wie sie das Fleisch auf den Teller legt, dann die Kartoffeln, dann den Rotkohl. Nun löffelt sie die Soße darüber …
»Hartig, hör mal!« sagt er leise.
»Was denn?« fragt sie ebenso und sieht nicht auf, scheinbar ganz mit ihrem Essen beschäftigt.
»Was ich sagen wollte …«, sagt er gedehnt. »Ja, du – ist deine Bluse eigentlich vorn oder hinten zum Knöpfen?«
»Vorne«, sagt sie ganz leise, sieht nicht hoch, sondern fängt an, das Fleisch zu schneiden. »Willst du mal sehen?«
»Ja«, sagt er. Und ungeduldig: »Nu mach bloß los!«
»Mußt du selber machen«, antwortet sie. »Sonst wird mein Essen kalt. – Ach du … ach … Ja, du Süßer … das schöne Essen … ja … ja …«
3
Weio von Prackwitz sitzt mit ihrer Mutter beim Abendessen.
Der Diener Räder steht in ernster Haltung an der Anrichte. Räder gehört, obwohl wenig über Zwanzig, zu dem ernsten Dienertyp. Er ist ganz von dem Gefühl durchdrungen, daß seine Herrschaft eines Tages aus dieser »Bruchbude« in das Schloß der alten Leute drüben ziehen wird, daß er dann dort nicht mehr der Diener, sondern der »Butler« sein wird, mit einem Dienerlehrling unter sich. Er sieht darum auch – trotz untadelig gewahrter äußerer Formen – den alten Geheimrat und seine Frau wie Leute an, die seiner Herrschaft etwas vorenthalten, was ihr eigentlich zusteht. Vor allem aber haßt er den alten Elias drüben, der über das Familiensilber gebietet – wie man schon Elias heißen kann! Der Diener Räder heißt Hubert – und so wird er von seiner Herrschaft
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