Wolf unter Wölfen
verhallt.
Wäre ich doch erst wieder in Neulohe! dachte von Prackwitz. Ich finde Berlin zum Kotzen. Nein, es ist nicht nur die toll gewordene Banknotenmaschine, dachte er weiter und sah den sauberen Gang mit den dunklen, gepflegten, eichenen Türen entlang. Es sieht alles noch aus wie ordentliches, sauberes Leben, aber es ist faul. Angefressen. Ob es noch immer der Krieg ist, der ihnen in den Knochen steckt? Ich weiß es nicht. Und jedenfalls verstehe ich es nicht.
Er ging langsam den Gang entlang, kam in die Halle, fragte nach dem Zimmer des Freundes. Ein Fahrstuhl fuhr ihn hinauf unter das Dach. Auf dem Bettrand saß von Studmann, den Kopf in den Händen.
»Ich habe einen widerlichen Brummschädel, Prackwitz«,sagte er hochsehend. »Hast du Zeit, mit mir eine halbe Stunde in die frische Luft zu gehen?«
»Ich habe alle Zeit von der Welt«, sagte der Rittmeister plötzlich fröhlich. »Für dich und für frische Luft. Gestatte, daß ich dir erst einen Kragen umbinde …«
2
Der kleine Feldinspektor Meier hatte sich, den Kopf dick und dumm vom Rausch, auf sein Bett geworfen, so wie er war: in schmutzbespritzten Schuhen, die Kleider regennaß. Draußen vor dem offenen Fenster rauschte es noch immer vom Himmel. Vom Kuhstall, vom Schweinestall her klang Geschimpfe, Meier hörte halb hin, er mochte wollen oder nicht.
Was tun die nur? dachte er. Was haben die? Ach was, ich will schlafen. Ich muß schlafen, vergessen; wenn ich dann aufwache, ist alles nicht wahr.
Er legte die Hand vor die Augen, nun wurde es dunkel um ihn. Ach, sie war gut, diese Dunkelheit! Dunkelheit war schwarz, schwarz war das Nichts; wo das Nichts ist, ist auch nichts gewesen, nichts geschehen, nichts verbockt.
Aber das Dunkel wird grau, und das Grau wird heller. Aus dem Helleren löst es sich: da steht der Tisch, da steht die Flasche, da stehen die Gläser … da liegt der Brief!
O Gott, was soll ich nur tun? denkt der kleine Meier und preßt die Hand fester gegen die Augen. Ja, es wird wieder schwarz. Aber aus dem Schwarz drehen sich leuchtende Räder heraus. In vielen Farben drehen sie sich, immer schneller kreisen sie. Ihm wird schwindlig, übel.
Jetzt sitzt er halb im Bett und starrt durch das noch taghelle Zimmer. Es ekelt ihn, er kennt es viel zu genau, von dem ewig riechenden Toiletteneimer neben dem Waschtisch an bis zu den übergesehenen Nacktfotos von Mädchen um den Spiegel herum, die er sich aus allen möglichen Magazinen ausgeschnitten und an die Tapete gepinnt hat.
Sein Zimmer ekelt ihn, sein Zustand ekelt ihn ebenso wie das Geschehene; er möchte etwas tun, aus seiner jetzigen Lage herauszukommen, etwas ganz anderes sein. Aber er sitzt nur da, haltlos, mit verschwollenem Gesicht, hängender, feuchter Unterlippe und hervorgequollenen Augen – er kann gar nichts tun. Alles wird über ihn hereinbrechen, er muß nur stillhalten, warten – und er hat doch nichts Böses gewollt! Wenn er doch wenigstens schlafen könnte –!
Gottlob klopft es – als erwünschte kleine Abwechslung – an die Tür des anstoßenden Büros. Er brüllt heiser »Herein!«, und als der Klopfende drüben zögert, schreit er noch lauter: »Komm doch nur rein, du Ochse!«
Gleich aber kriegt er einen Schreck; vielleicht ist es jemand, den er nicht »Ochse« nennen darf, der Geheimrat oder die gnädige Frau, dann hat er es schon wieder verbuttert – auwei!
Aber es ist nur der alte Leutevogt Kowalewski.
»Wat is denn?!« schreit Meier ihn gleich an, froh, jemanden gefunden zu haben, an dem er seine Wut auslassen kann.
»Ich wollte nur fragen, Herr Inspektor«, sagt der alte Mann demütig, die Mütze in der Hand. »Wir haben nämlich ein Telegramm von unserer Tochter aus Berlin gekriegt, sie kommt morgen früh mit dem Zehnuhrzug …«
»So, das wollten Sie also fragen, Kowalewski«, sagt Meier höhnisch. »Na, nun hast du’s also gefragt, nun kannst du wieder gehen.«
»Es ist nur wegen des Gepäcks«, sagt der Leutevogt. »Fährt morgen wohl ein Wagen zur Bahn?«
»Sicher, sicher«, sagt Meier. »Morgen fahren ’ne ganze Menge Wagen zur Bahn. In Ostade und in Meienburg und in Frankfurt bestimmt auch.«
»Ich meine nur«, erklärt Kowalewski beharrlich, »ob einer von unsern Wagen zur Bahn fährt, der ihr Gepäck mitnehmen kann?«
»Ach, das meinst du!« spottet Meier. »Du bist ja ein mächtig feiner Pinkel, Vogt, daß du von unsern Wagen redest!«
Der alte Leutevogt gibt den Mut noch nicht auf. Er hatGenerationen von Inspektoren erlebt,
Weitere Kostenlose Bücher