Wolf unter Wölfen
dieser ist sicher der Schlimmste von allen. Aber ein armer Mann muß hundertmal bitten, ehe ein mächtiger einmal ja sagt, und manchmal ist der kleine Meier auch anders. Er ist nun mal so, er macht sich gerne einen Spaß mit den Leuten, das darf man ihm nicht übelnehmen.
»Es ist ja nur wegen des Koffers, Herr Inspektor«, bittet er. »Gehen macht der Sophie gar nichts, sie geht gerne.«
»Und noch lieber legt sie sich lang hin, was, Kowalewski?« grinst Meier.
Der alte Mann steht ruhig da, er verzieht das Gesicht nicht. »Vielleicht fährt auch einer von den Bauern zur Bahn«, überlegt er halblaut bei sich.
Aber nun ist Meier zufrieden. Er hat seine Wut ein bißchen ausgetobt, er hat gefühlt, daß er nicht ganz ohne Macht ist.
»Na, nu mach man, daß du rauskommst, Kowalewski«, sagt er ganz gnädig. »Mit dem Zehnuhrzug kommen ja auch die Schnitter und der Rittmeister, da wird schon Platz für deine Sophinka sein. – Hau ab, alter Rabe, du stinkst!« schreit er plötzlich wieder, und mit einem gemurmelten »Danke auch schön« und »Guten Abend« geht der Leutevogt ab.
Meier, Negermeier, ist wieder allein mit sich und mit seinen Gedanken, und sofort verfällt seine Stimmung. Wenn ich doch wenigstens schlafen könnte! murrt er wieder bei sich. Jedes Aas kann schlafen, wenn es soviel getrunken hat, aber ich nicht, ich habe natürlich immer Pech!
Es kommt ihm der Gedanke, daß er vielleicht noch nicht genug getrunken hat. Als er im Gasthof abträllerte, war er eigentlich ganz hübsch dun, nur daß alles jetzt schon wieder verflogen ist. Er könnte ja noch mal in den Krug gehen, aber er ist zu faul dazu. Außerdem müßte er dann bezahlen, was er sich da alles genommen hat, und ihm graust vor der Aufrechnung. Na, die Amanda läßt sich sicher heute abend noch mal sehen, dann kann die hinlaufen und ihm noch ’ne Flasche Schnaps holen. Hat sie wenigstens ’ne Beschäftigung, er kann heute Weiber nicht riechen. Von denen hat er heute die Nasevoll – hätte die Weio sich nicht so vor ihm geaalt, er hätte nie all diese Dummheiten gemacht! Aber so was muß einen Kerl ja verrückt machen!
Meier ist schwerfällig aus dem verschmutzten, feuchten Bett aufgestanden und schlingert torkelig in der Stube herum. Mancherlei geht ihm durch den Kopf. Zum Beispiel, daß der Förster gesagt hat, er soll seine Koffer packen und machen, daß er fortkommt.
Die Koffer liegen oben auf dem Kleiderschrank. Er hat zwei Handkoffer, ein gewöhnliches Bruchdings aus beklebter Pappe und einen schnieken Lederkoffer, den er von der letzten Stellung mitgenommen hat. Er stand da so rum auf dem Boden. Meier legt den Kopf in den Nacken und schielt wohlgefällig zu dem Koffer hinauf: Er freut sich immer wieder über diese billige Erwerbung.
Wenn man Koffer sieht, denkt man an Reisen. Und wenn man an Reisen denkt, fällt einem das Reisegeld ein. Ganz von selbst, ohne daß er auch nur einen Blick durch die angelehnte Bürotür tut, fällt Meier der Geldschrank nebenan ein, ein massiger, grüngestrichener Klotz, dessen vergoldete Arabesken mit den Jahren schmutziggelb geworden sind.
Gewöhnlich hat der Rittmeister den Schlüssel zu diesem Geldschrank und rückt nur vor jeder Löhnung oder sonstigen Ausgabe das nötige Geld heraus. Meier ist zwar vollkommen zuverlässig in Geldsachen, aber der Rittmeister ist nun mal ein großer Mann und mißtrauisch. Es geschähe ihm schon recht, wenn er grade mit seinem Mißtrauen einmal gründlich reinfiele!
Meier stößt mit der Schulter die Tür zum Büro auf und pflanzt sich nachdenklich vor den Geldschrank hin. Gestern abend hat ihm der Rittmeister den Bestand vorgezählt, sogar zweimal – da liegt ein ganz hübscher Klumpatsch Geld im Schrank, mehr als Inspektor Meier in drei Jahren verdienen kann. Versonnen befingert Meier den Geldschrankschlüssel in seiner Tasche. Aber – er nimmt ihn nicht raus. Aber – er schließt den Schrank nicht auf.
Nee, so dumm! denkt Meier.
Was er sonst macht, ist alles ganz schön und gut, er kann deswegen mal rausfliegen, aber ins Kittchen kommt er darum nicht. Rausfliegen, das macht nichts. Nach einer Weile kriegt man doch immer wieder eine neue Stellung; weswegen man rausflog, schreibt eigentlich nie ein Chef ins Zeugnis. Aber gegen Kittchen hat Meier eine lebhafte Antipathie.
Ich hau das Geld ja doch bloß in einer Woche oder in vierzehn Tagen auf den Kopf, denkt Meier bei sich. Dann steh ich blank da und kann keine neue Stellung annehmen, weil sie mich suchen.
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