Wolf unter Wölfen
grünen Erde, das ihm noch sein altes Blut erwärmen kann. Er schmunzelt, weil er ihnen allen wieder mal Sand in die Augen gestreut hat. Der Pastor Lehnich wird’s hören, und er wird’s der Belinde sachte beipulen, und Belinde, das arme Huhn, wird umherlaufen, als hätte sie ein Lineal geschluckt – und keiner, keine wird etwas ahnen!
Bis auf eine – der alte Herr weiß es wohl. Sie ahnt es, mehr noch, sie weiß es. Er sieht sie kaum noch, und nie unter vier Augen. Und – nach der ersten schlimmen Zeit, als dies ihn ganz unvermutet heimsuchte, – gibt er sich ja auch keine Mühe mehr, sie zu treffen. Nein, der Geheimrat weiß: Einen Greisen brennen keine hellen Feuer mehr. Ein stiller Funke, eilig huschend durch die zugedeckte Asche – das ist alles.
Aber wenn da so ein Rittmeister von Habenichts und Kannnichts, aber Willsehrviel kommt – so soll er sich gesagtsein lassen: Wir haben unsere Tochter nicht für dich aufgezogen! Der Ehemann der einzigen Tochter, jawohl, bitte schön – aber wieso eigentlich? Das ist ja ganz wunderbar ausgedacht – wir haben unsere Tochter erzogen, ein Mädchen wie keines, damit du dein Vergnügen hast?! Und nicht einmal das – man kommt ja nicht selten an der Villa vorbei, man hört es schon: du schreist Evchen an?! Nein, mein lieber Herr Schwiegersohn, das wollen wir dir zeigen, und nun macht es uns gar nichts aus, daß der Strompreis bei uns genau elfmal so hoch wird wie beim Kraftwerk Frankfurt – das sollst du trotzdem blechen müssen, nein, gerade weil du der Mann unserer Tochter bist!
Der alte Mann malt seine Zahlen mit einer zornigen Entschlossenheit hin. Es ist ihm egal, daß es Krach geben wird, es kann gar nicht genug Krach geben! Er wird auch wieder in den Parkzaun ein Loch machen, daß die Gänse Belindes in die Wicken vom Schwiegersohn gehen können. Belinde beruhigt die Stürme um den Schwiegersohn noch immer. Aber wenn er ihren Gänsen etwas tut, wie er gedroht hat, wird sie die Stürme nicht mehr beruhigen!
Herr Geheimer Ökonomierat Horst-Heinz von Teschow ist in Fahrt. Er ist nun gerade in der rechten Stimmung, den Brief an den Schwiegersohn zu schreiben. Natürlich, wie das zur Sache gehört: kühl, knapp, geschäftlich. (Man soll verwandtschaftliche Gefühle nicht in die Geschäfte mengen!)
Bedaure außerordentlich, aber die immer schwierigeren Verhältnisse auf dem Geldmarkt zwingen mich usw. usw. Anliegend Aufstellung. Mit bestem Gruß Ihr H.-H. von Teschow.
Punktum! Fertig! Abgelöscht! Den Brief kann der Elias morgen früh als erstes rübertragen! Dann findet ihn der Herr sofort bei seiner Rückkehr aus Berlin. Das wird ihm den Kater, den er bestimmt aus Berlin mitbringt, feste gegen den Strich streichen!
Herr von Teschow hebt schon die Hand, um nach Elias zu klingeln, als ihn die Harmoniumklänge von unten daran erinnern,daß die Andacht noch immer in Gang ist. Belinde macht es heute wieder einmal gründlich. Sicher hat sie ein räudiges Schaf in der Herde, das noch vor dem Schlafengehen der Buße zugeführt werden muß. Kann er den Elias also nicht rufen. Und er sähe den Brief doch schon so gerne unterwegs!
Übrigens weiß er natürlich, wer das räudige Schaf ist, Belinde hat es ihm erzählt: die Geflügelfee Amanda mit den rotlackierten Backen und der kleine Meier mit den Wulstlippen. Empfehlen sich als Verlobte. Na, die Verlobung haben sie wohl schon hinter sich. Und den halben Ehestand obendrein auch noch! Na, laß sie!
Der Geheimrat grient ein wenig, und dabei fällt ihm ein, daß es viel besser ist, dem Feldinspektor Meier den Brief zur Besorgung auszuhändigen. Das wird den Schwiegersohn am meisten ärgern. Denn der weiß ganz gut, daß sein Schwiegervater ganz gerne mal mit Meier einen kleinen Schnack hält. Und wenn er dann so einen Brief durch den kleinen Meier bekommt, denkt er natürlich, sein Schwiegervater hat mit Meier über den Inhalt des Briefes gesprochen. Ist aber natürlich viel zu fein, seinen Beamten nach so was zu fragen, und das wieder vermehrt noch den Ärger!
Der alte Herr steckt den Brief in die Joppentasche, nimmt Stock und Lodenhut und steigt langsam die Treppe hinunter. Die Abendandacht scheint endgültig vorüber zu sein, zwei von den Mädchen gehen an ihm vorbei die Treppe hoch. Sie sehen sehr amüsiert aus, gar nicht nach frommer Erbauung, sondern als könnte es bei der Andacht einen kleinen Zwischenfall gegeben haben. Von Teschow ist im Begriff, sich zu erkundigen, aber dann läßt er es lieber. Wenn
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