Wolf unter Wölfen
Kleine!« sagte der Wärter. »Das hält! Paß auf, du Blaue, du bist noch die Vernünftigste! Laß sie ruhig auf der Erde liegen, mach sie nicht frei, was sie euch auch erzählt. Aber paß auf, daß sie nicht den Kopf auf dem Steinboden zerschlägt, sie ist dazu imstande. Wenn sie zu sehr schreit, leg ihr ein nasses Handtuch auf den Mund, aber sieh zu, daß sie nicht erstickt …«
»Nehmen Sie sie doch raus!« sagte Petra böse. »Ich will das nicht. Ich bin kein Gefangenenwärter! Ich mag Menschen nicht quälen.«
»Sei nicht dumm, kleine Blaue«, sagte der Wärter gleichmütig.»Quälen wir sie denn? Die Sucht quält sie, das Koks quält sie. Haben wir’s ihr angewöhnt –?«
»Sie gehört in ein Krankenhaus!« sagte Petra unwillig.
»Glaubst du, da geben sie ihr Koks?« fragte der Wärter wieder. »Los muß sie davon, hier, überall. Ist sie denn so noch ein Mensch? Guck sie doch an, Kleine!«
Sie sah wirklich kaum noch menschlich aus, ein zitternder, rasender Kopf, jetzt voller Wut und Haß, nun weinend, schon verzweifelt, nun bittend, wie ein Kind bittet, voller Glauben, der Gebetene vermöge alles.
»Ich will sehen, daß ich auf dem Lazarett ein Schlafmittel für sie kriege«, sagte der Rotblonde nachdenklich. »Aber ich weiß nicht, ob einer da ist, der den Schlüssel zum Medikamentenschrank hat. Das sind Zeiten, sage ich dir … Also verlaß dich nicht drauf!«
»Kannst ihr immer noch ein paarmal zwischendurch Salz geben«, mischte sich der andere ein. »Die fällt noch zehnmal drauf rein. Der Mensch ist so. Na, gute Nacht.«
Die Tür fiel zu. Das Schloß knackte laut unter den Schlüsseln. Nun klirrte der Riegel. Petra hockte sich neben die Kranke. Die warf jetzt den Kopf von einer Seite auf die andere, ununterbrochen, mit geschlossenen Augen, immer schneller, immer schneller … »Koks«, flüsterte sie dabei. »Koks! Koks! Gutes Koks …«
Die fällt immer wieder auf Salz rein, wiederholte Petra bei sich trübe. Der Mensch ist so. Und: Recht hat er: der Mensch ist so. – Aber ich möchte nicht mehr so sein. Ich nicht!
Sie sah gegen die Tür. Die Scheibe des Spions blinkte wie ein böses Auge. Wolf kommt nicht mehr, dachte sie entschlossen bei sich. Er hat geglaubt, was die ihm erzählt haben. Ich will nun auch nicht mehr auf ihn warten!
5
Auf dem »Schloß« in Neulohe, bei den alten Leuten, bei von Teschows, aßen sie Punkt sieben Uhr zu Abend. Um halb acht waren sie damit fertig, und dann hatten die Mädchen nur noch den Abwasch und das Aufräumen in der Küche, was spätestens um acht fertig war. Darauf hielt die alte Gnädige: »Auch ein Dienstbote muß einmal Feierabend haben!«
Freilich kam dann noch acht Uhr fünfzehn die Abendandacht, zu der alle im Schloß frisch gewaschen zu erscheinen hatten – bis auf den alten Herrn von Teschow natürlich, der zum immer neuen Ärger seiner Frau gerade um diese Stunde stets einen eiligen, völlig unaufschiebbaren Brief schreiben mußte.
»Nein, heute geht es wirklich nicht, Belinde! Und überhaupt – ich höre mir deinetwegen schon alle Sonntage an, was uns der alte Lehnich von der Kanzel erzählt. Ich muß ja sagen, es klingt ganz schön, aber
ich
kann mir nichts Rechtes darunter vorstellen, Belinde. Und ich glaube, du auch nicht. Wenn ich mir so ausmale, wir fliegen da einmal als Engel im Himmel herum, du, Belinde, und ich – so in weißen Hemden wie auf den Bildern in der großen Bilderbibel …«
»Du spottest mal wieder, Horst-Heinz!«
»I bewahre, keine Spur! – Und ich treff da meinen alten Elias, und der flattert auch so rum und singt auch ewig, und dann flüstert er mir zu: ›Na, Geheimrat, du hast auch Schwein gehabt, wenn ich dem lieben Gott all das von deinem Rotspon erzählt hätte, und was du manchmal für lästerliche Reden geführt hast …‹«
»Richtig, Horst-Heinz, sehr richtig!«
»Und alles ohne Standesunterschied und einfach per du, in so einer Art von Nachthemden und mit Gänseflüchten. – Ja, verzeih, Belinde, es sind nämlich Gänseflüchten. Es sollen ja wohl Schwanenflüchten sein, aber Schwan und Gans sind so ziemlich dasselbe …«
»Ja, geh nur rauf, Horst-Heinz, und schreibe deinen wichtigenGeschäftsbrief. Ich weiß schon, du spottest bloß, und gar nicht mal über die Religion, sondern nur über mich. Aber das macht mir nichts, das trage ich, das ist sogar besser. Denn wenn du über die Religion spottetest, wärest du verworfen für immer und ewig – aber wenn du über mich spottest, bist du
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