Wolf unter Wölfen
ganz hübsches Sümmchen, was da nun auf dem Papier stand: auch wenn man jeden Monat nur mit einem Zwölftel belastete, war es noch immer eine gewaltige Zahl, mit sehr vielen Nullen.
Der wird morgen früh gucken, der Herr Schwiegersohn, sagte der Geheimrat bei sich, wenn er diese frohe Botschaft liest. Geld hat er natürlich nicht; das bißchen, was er noch hatte, wird er in Berlin gelassen haben. Aber ich werde ihm schon auf der Pelle sitzen, daß er rasch drischt; und das Druschgeld jage ich ihm dann ab, und er mag sehen, wie er durch den Winter kommt!
Es war eigentlich unbegreiflich, daß der alte Mann solchen Haß auf den Schwiegersohn hatte. Früher, als der Rittmeister noch Offizier gewesen war und in irgendwelchen weit abgelegenen Garnisonen gelebt hatte, und dann, als Krieg gewesen war, da hatten sich die beiden, wenn sie sich einmal sahen, eigentlich ganz gut vertragen. Der wirkliche Haß war erst aufgekommen bei dem alten Herrn, seit der Rittmeister hier in Neulohe als Pächter lebte, seit unter den Augen des alten Herrn sich das Prackwitzsche Familienleben abspielte …
Der alte Herr war ja gar nicht so dumm und dickköpfig, er sah ganz gut, wie der Rittmeister sich plagte und sorgte. Sicher war der Schwiegersohn ein verabschiedeter Reiteroffizier und kein Landwirt, darum packte er vieles ungeschickt undauch falsch an. Sicher war er oft zu milde und manchmal zu hitzig. Sicher trug er englische Anzüge von einem sehr teuren Schneider in London, dem er immer sein Maß schickte, und Oberhemden, die von oben bis unten durchgeknöpft wurden (»Ekelhaft weibisch« – obwohl nie ein Weib solch Oberhemd getragen hat), während der alte Geheimrat nur Lodenanzüge und Jägerhemden trug. Sicher – und so gab es noch zehn, noch zwanzig Einwendungen gegen den Rittmeister. Aber jede für sich und alle zusammen gaben noch keinen Grund für solchen Haß ab.
Der Geheimrat von Teschow ist fertig mit seiner Rechnerei; den Brief an den Schwiegersohn wird er nachher schreiben, jetzt greift er nach der »Oder-Zeitung«. Doch er kommt nicht zum Lesen, er entdeckt, daß der Dollar nicht mehr auf vierhundertvierzehntausend, sondern auf siebenhundertsechzigtausend steht. Das müßte ihn eigentlich ärgern. Er hätte in die Zeitung sehen müssen, ehe er mit seiner Rechnerei anfing. Nun muß er alles noch einmal machen.
Aber es ärgert ihn nicht. Er macht sich gerne an die neue Rechnerei – muß der Herr Schwiegersohn um so mehr bezahlen!
Ich kriege ihn doch noch kaputt! denkt er flüchtig, und die Hand mit der Feder bleibt einen Augenblick stillstehen, als sei sie über den Gedanken erschrocken. Aber gleich schreibt sie weiter. Der Geheimrat hat nur mit den Schultern gezuckt. Das war ein dummer Gedanke, natürlich legt er es nicht im geringsten darauf an, den Herrn von Prackwitz zu ruinieren. Der soll nur bezahlen, was sich gehört. Mehr verlangt er gar nicht. Meinethalben kann er da drüben leben, wie er mag, in Seidenhemden und Büxen! denkt der Geheimrat grimmig und schreibt weiter.
Durch das alte Schloß klingen die klagenden und jetzt fast leichtfertig flötenden Töne des Harmoniums. Geheimrat von Teschow nickt und tritt mit den Füßen den Takt – beschleunigend: Schneller, Belinde, schneller! Bei diesem Tempo müssen die Leute ja einschlafen.
»Er ist ja nicht nur der Rittmeister von Prackwitz – er ist doch auch der Mann unserer einzigen Tochter«, hat Belinde neulich gesagt. Eben, eben; wie ’ne Frau so was sagen kann, als sei es die selbstverständlichste Sache von der Welt: der Mann der einzigen Tochter!
Wenn der alte Geheimrat durch das Dorf geht und er sieht irgendein Mädchen, so kräht er laut über die ganze Dorfstraße: »Na, was ist denn das für ein reizendes Kind?! – Na, komm doch mal rüber, meine kleine Süße, laß dich doch mal anschauen! Du bist ja ganz reizend, meine Kleine – Donnerschlag, was hast du für Augen!«
Und er tätschelt ihre Backen und faßt sie unters Kinn, alles öffentlich vor dem ganzen Dorf! Und öffentlich vor dem ganzen Dorf geht er mit ihr zum Kaufmann und kauft ihr eine Tafel Schokolade, oder er tritt mit ihr beim Gastwirt ein und läßt ihr einen Süßen geben. Und dann faßt er sie noch einmal um die Taille, recht sichtbar, und nun entläßt er sie und geht in die Forst, befriedigt bei sich schmunzelnd.
Aber er schmunzelt nicht wegen des Mädchens, das verlegen und doch geschmeichelt wirklich reizend ausgesehen hat – da läuft kein Mädchen mehr auf der
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