Wolf unter Wölfen
und nach ihren Beinen zu schielen. Sophie zog ärgerlich den Rock so weit herunter, wie es nur irgend ging – etwa bis zum Knie. Sie fand es unrecht von einem Pastor. Sonst machte es ihr immer Spaß, wenn die Herren nach ihren Beinen schielten. Aber für einen Pastor schickte sich das nicht, ein Pastor hatte anderes zu tun, als ihre Beine angenehm zu finden, dafür bekam er sein Gehalt nicht.
Als sie den alten Herrn zum dritten Male ertappte, warf sie ihm einen scharfen Blick zu. Sofort lief er rot an, mümmelte etwas und verließ überstürzt das Lesezimmer.
Sophie seufzte. So hatte sie es nun wieder nicht gemeint, ganz allein genossen, war dies Schreibzimmer reichlich trübselig.
Jedenfalls aber trugen die Briefbogen den Aufdruck »Christliches Hospiz«. Das war erfreulich. Sie nahm an, ein solcher Brief werde im Zuchthaus mit Achtung behandelt werden, solcher Brief würde ihr bestimmt die gewünschte und ersehnte Besuchserlaubnis verschaffen. Vorsorgend schob sie gleich ein Dutzend solcher Bogen und Umschläge in ihre Handtasche, die würden ihr sicher noch einmal nützlich sein.
Freilich konnte auch der frömmste Aufdruck ihr nicht die Mühe des Schreibens abnehmen; wie am Morgen war es am Abend ein schweres Werk – lange saß sie darüber.
Aber schließlich war sie fertig. Sie hatte nicht eben viel geschrieben, nur vier oder fünf Sätze. Aber sie genügten, Hans Liebschner (und die Zuchthausverwaltung) auf den Besuch der »Schwester« vorzubereiten. Wie würde Hans über diesen Brief grinsen! Wie nett würde der Besuch werden, wenn er sie – er konnte so etwas fabelhaft! – ganz als Schwester behandeln würde. Sie fühlte schon seinen frechen geschwisterlichenKuß vor den Augen des Polizisten – oder was in so einem Zuchthaus als Wächter herumlief.
Mittlerweile war es halb zehn Uhr geworden, nichts war mehr zu tun, man konnte allenfalls ins Bett gehen. Langsam zog sie sich aus. Jetzt war sie hellwach, wenn sie am Tage auch ewig müde gewesen war. Nicht die Spur von Schlafbedürfnis. Und draußen unter ihrem Fenster schliffen und hupten die Autos. Sie sah es förmlich – während sie sich verdrossen auszog –, wie die Männer jetzt lächerlich gravitätisch oder mit schlecht gespielter Nonchalance in die Bars traten, den Mädchen kurz zunickten und auf ihre hohen Stühlchen kletterten – ihren ersten Cocktail oder Whisky bestellend.
Aber nein! Heute würde unter keinen Umständen ausgegangen!
Da war es gut, daß auf dem Nachttisch neben ihrem Bett ein schwarzes Büchlein mit rotem Schnitt lag. Es trug den goldenen Aufdruck: »Die Heilige Schrift«.
Seit ihrer Konfirmation hatte Sophie keine Bibel mehr in der Hand gehabt – und damals hatte sich ihre Beschäftigung mit diesem Buch auch nur auf das von Pastor Lehnich anbefohlene Sprüchelernen und – häufiger – auf das Suchen von verführerischen Stellen beschränkt. Heute abend aber hatte sie einmal Zeit, und so nahm sie die Bibel, und um es richtig zu machen, fing sie von vorn an. (Sagte es ihr zu, würde sie diese ausgezeichnete, kostenlose Lektüre für die Ferien in ihren Koffer packen.)
Sophie war gespannt, was an diesem berühmten Buche eigentlich dran war. Die Schöpfungsgeschichte fand nur ihr mäßiges Interesse – ihrethalben! Das konnte so gewesen sein, oder es konnte auch nicht so gewesen sein, wichtig war es nicht. Wichtig war, daß man selbst da war – und das war man ja, dank der Erschaffung von Adam und Eva im zweiten und dem Sündenfall im dritten Kapitel.
Dies war also der berühmte Sündenfall, mit dem gebildete Männer ein Mädchen in der Bar so oft anödeten (solange sienoch fein taten). Sophie fand alles wieder, es war alles da: der Baum der Erkenntnis, der Apfel, weswegen man sicher heute noch »veräppeln« sagte, und die Schlange. Aber Sophie war keineswegs mit der Darstellung in der Bibel einverstanden. Wer richtig las, was da geschrieben stand, konnte sofort feststellen, daß Gott dem Weibe nie verboten hatte, von dem Baume der Erkenntnis zu essen. Jawohl, dem Manne hatte er’s verboten, aber ehe noch das Weib erschaffen war. Das war eine feine Sache, die Frau für etwas zu bestrafen, das man ihr gar nicht verboten hatte! So etwas sah den Männern ähnlich!
Wenn das schon so anfängt, dachte Sophie ärgerlich, wie soll es dann weitergehen? Das ist ja alles Schwindel! Da muß man ja doof sein, um auf so was reinzufallen! Und das reden einem die Brüder heute noch vor! Na, mir soll noch einer mit so was
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