Wolf unter Wölfen
Unberufen!«
Im Rosarium standen die Rosenstöcke geplündert, auch niedergebrochen. Es schien Blumenhändler zu geben, die ihren Bedarf nicht in der Markthalle, sondern hier deckten. »Bei uns wird auch geklaut, aber gottlob noch nicht verwüstet!«
Sie setzten sich auf eine Bank. Die trockene Luft hatte die Regenfeuchte schon wieder aufgesogen. Vor ihnen lag, mit seinem bebuschten Inselchen, der Neue See. Über ihnen standen lautlos die Kronen der Bäume. Vom Zoologischen Garten her klang unbestimmt Tiergebrüll.
»Mein Schwiegervater«, sagte Herr von Prackwitz träumerisch, »hat sich seine achttausend Morgen Wald vorläufig noch vorbehalten. Aber so filzig der alte Herr in vielem ist, Jagderlaubnis erteilt er großzügig – du könntest da manchen schönen Bock schießen.«
Ja, Neulohe, im stärker dunkelnden Abend, wurde zu einer stillen, weltentfernten Insel, und Herr von Studmann war ja auch gar nicht unempfänglich für solche Botschaft. Am Vormittag hatte er noch jeden Gedanken an eine Flucht auf das Land verworfen. Aber dann war der Nachmittag mit seinen mancherlei Erlebnissen gekommen und hatte bewiesen, daß diese Zeit sogar die Nerven eines vierjährigen Frontkämpfers erledigen konnte. Es war nicht einmal so sehr der groteske, peinliche Zwischenfall mit dem Reichsfreiherrn Baron von Bergen. Gottlob liefen völlig Irre noch nicht so häufig in der Weltgeschichte herum, daß man Zusammenstöße mit ihnen in seine Lebensrechnung einkalkulieren mußte.
Aber dieser Zwischenfall hatte auf eine betrübende, quälende Weise den stählern kalten Mechanismus des Hotelgetriebes bloßgelegt, dem von Studmann bisher Kraft, Eifer, Arbeit gegeben hatte. Er hatte geglaubt, durch peinlichste Pflichterfüllung wenn nicht Anhänglichkeit, so doch Achtung verdient zu haben. Er hatte erleben müssen, daß dem Gefallenen vom letzten Liftboy bis zum obersten Generaldirektor nur schamlose, freche Neugier bewilligt worden war. Wäre der temperamentvolle Geheimrat Schröck mit seinen etwas ungewöhnlichen Ansichten über Geisteskranke nicht eingesprungen, so hätte man ihn ohne alle Rücksicht mit der größten Schnelligkeit wie einen halben Verbrecher abgeschoben.
So hatte man ihn denn allerdings noch vor seinem Ausgang abgefangen, Herr Generaldirektor Vogel hatte sich trotz aller grauen Fülle geschmeidig zwischen Einerseits und Andrerseits hindurchgewunden, eine – natürlich in Edelvaluta gezahlte – Abfindung war ihm erst einmal überreicht worden, wärmste Empfehlungen hatte man ihm zugesichert –: »Ja, ich glaube sogar, mein sehr verehrter Herr Kollege, dieser kleine,an sich recht unangenehme Zwischenfall schlägt Ihnen noch völlig zum Guten aus. Wenn ich Herrn Geheimrat Schröck recht verstanden habe, erwartet er von Ihnen sehr hohe Forderungen – höchste!«
»Nein«, sagte Herr von Studmann auf seiner Tiergartenbank aus tiefsten Gedanken heraus. »Aus der moralischen Minderwertigkeit des Früchtchens möchte ich nun freilich keinen Honig saugen.«
»Wie –?!« fragte von Prackwitz auffahrend. Er hatte grade von der Schwarzwildjagd gesprochen. »Nein, natürlich nicht. Das verstehe ich vollkommen. Du hast es auch nicht nötig.«
»Verzeih schon«, sagte von Studmann. »Ich war mit meinen Gedanken noch hier. In Berlin. Es ist eigentlich sinnlose Arbeit, die man hier getan hat. Irgend so was wie Reinmachen: man äschert sich ab, und am nächsten Morgen ist doch alles wieder dreckig.«
»Natürlich«, pflichtete der Rittmeister bei. »Frauenzimmerarbeit. Bei mir …«
»Verzeih, bei dir könnte ich auch nicht sein, ohne etwas zu tun. Wirklich etwas zu tun …«
»Du wärest mir eine große Hilfe«, sagte von Prackwitz nachdenklich. »Ich sprach dir heute vormittag schon von diesen politisch-kriegerischen Verwicklungen. Ich bin manchmal etwas allein – recht ratlos.«
»Es laufen«, dachte der Oberleutnant seinen Gedanken laut weiter, »jetzt so viele Menschen aus ihrer Arbeit. Arbeiten, überhaupt etwas tun ist plötzlich für sie sinnlos geworden. Solange sie einen festen, greifbaren Wert dafür am Ende der Woche, des Monats in die Hand bekamen, hatte auch die ödeste Büroarbeit für sie einen Sinn. Der Marksturz hat ihnen die Augen geöffnet. Warum leben wir eigentlich? fragen sie sich plötzlich. Warum tun wir was? Irgendwas? Sie sehen nicht ein, warum sie etwas tun sollen, bloß um ein paar vollkommen wertlose Papierlappen in die Hand zu bekommen.«
»Diese Entwertung ist der infamste Betrug am
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