Wolf unter Wölfen
wie ich da so steh, und die Lumpen fliegen durch die Luft, da seh ich mit meinem gierigen Rabenblick was blinkern. Ich sachte mich angepirscht, und da ist doch ein richtiges Frackhemde dazwischen, und der Dussel, der das weggeschmissen hat – aber es ist sicher das Mädchen von dem Dussel gewesen, das sich mit Leinenlumpen ein bißchen Geld hat machen wollen (das machen heute viele, weil der Lohn nicht hin und her reicht) –, hat doch vorne im Brettchen drei Diamantknöpfe steckenlassen! Kein Pofel, seh ich gleich, richtig Brillanten, und nicht kleine! Na, ich tu, als seh ich nichts, aber ich pul mir die Dinger leise raus. Und dann zu Hause freu ich mich. Wunderbar – ich bin so, über so was, und wenn’s nun sogar nichts gekostet hat, kann ich mich freuen wie ein Kind! Ich weiß, ich darf es nicht, ich bin ja schon zweimal reingefallen mit so was, aber ich kann es nicht lassen. Immer denk ich, es hat keiner gesehen, liefer es nicht ab, hast du doch deine kleine Freude dran …«
Sie sieht Petra an, und Petra sieht die alte Frau an, und Petra ist sehr erleichtert, aber die Frau Krupaß ist sehr bekümmert.
»Und das ist das Gemeine an mir, Kindchen, daß ich es nicht lassen kann. Daß ich dies nicht unterkriege, darüber ärgere ich mich noch mal tot! Killich sagt auch zu mir: ›Was soll denn das, Frau Krupaß! Sie sind doch ’ne reiche Frau, Sie können sich doch ’ne Sechsertüte voll Brillantknöpfe kaufen, lassen Sie doch so was!‹ – Und recht hat er, aber lassen kann ich es nicht! Ich werd damit nicht fertig, ich schaff und schaff es nicht. Was würdest du denn in so ’nem Falle tun, Kindchen?«
»Ich würd sie abliefern«, sagt Petra.
»Abliefern? Die schönen Knöppe?! Nee, so dumm!« Sie will sich wieder ereifern, aber sie besinnt sich gleich. »Na, reden wir nicht mehr von, ich ärgere mich auch ohne Reden genug. Was soll ich noch viel erzählen? Einer von meinen Leuten muß es doch gesehen haben, gierig sind sie ja alle, und schon ist der Krimsche da und ist ganz höflich. ›Na, Frau Krupaß, wie ist denn das wieder mit ’ner kleinen Fundunterschlagung?‹ sagt er und grient noch dabei, der Affe! ›Haben Sie’s vielleicht wieder ins Spiegelschränkchen gelegt? Machen Sie mal auf!‹ Und ich Hornochse hab die Knöppe doch wirklich wieder da rein gelegt wie ’s letztemal, recht hat der Mann, und ein Affe ist er gar nicht! Der Affe bin immer bloß ich! Na ja, was nicht als Verbrecher geboren ist, wird sein Lebtag keiner!«
Die Krupaß sitzt da, in Gedanken verloren, und Petra sieht ihr an, daß sie jetzt noch, trotz aller Selbsterkenntnis, trotz der Angst vor den sechs Monaten, den Verlust der Knöpfe bedauert. Und Petra möchte beinahe lächeln über die kindische, törichte alte Frau. Aber dann denkt sie an Wolfgang Pagel, und wenn sie auch gleich sagen will: Das ist doch etwas anderes als Knöpfe! – sie denkt doch: Vielleicht bilde ich mir das nur ein, daß es was anderes ist. Was für mich der Wolf ist, das sind für Mutter Krupaß die Knöpfe.
Und nun fällt ihr wieder ein, daß es mit dem Wolf erst einmal vorbei ist, und sie denkt an das Häuschen auf dem Produktenlagerplatz, von dem sie sich schon eine richtige Vorstellung machen kann (an der Laube wachsen Feuerbohnen hoch), und sie weiß nun ganz fest, es gibt keine Pottmadamm mehr und kein überhitztes Hofzimmer, nicht mehr das Schreien des geschnittenen Blechs aus der Fabrik im Erdgeschoß, nicht mehr das tatenlose Warten, keine Bettruhe mehr wegen Kleidermangel, kein Hofieren mehr um ein paar Schrippen. – Sondern statt dessen Sauberkeit, Ordnung, ein planmäßig eingeteilter Tag mit Arbeit, Essen und Ruhe … Und diese Aussicht überwältigt sie so, daß das Glück sie fast mit einem Weinen anfaßt. Sie schluckt einmal,sie schluckt noch einmal, dann aber besinnt sie sich. Sie geht auf die alte Frau zu, reicht ihr die Hand und sagt: »Also, ich will, Mutter Krupaß, und gerne! Und ich danke Ihnen auch schön!«
7
Eine lange Zeit, eine unermeßlich lange Zeit, fast eine Stunde lang hatten der Rittmeister und sein Junker gemeinsam gespielt. Mit Flüstern hatten sie einander verständigt, Pagel hatte die Vorschläge des Rittmeisters angehört und hatte sie befolgt, oder er hatte sie auch nicht befolgt, ganz wie er das Spiel beurteilte.
Die Kugel war gelaufen und hatte geklappert, das Rad hatte geschnurrt, der Croupier hatte gerufen, eilig hatte man einzuziehen und neu zu setzen. Die Zeit lief hastig, sie rannte, immer war
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