Wolf unter Wölfen
vor einer Weile war, den Spielklub anzuzeigen, ebenso überzeugt ist er jetzt, daß die Anzeige dieses bösartigen Mädchens verhindert werden muß.
»Halt!« schreit aber auch der Taxichauffeur, der sein Fahrgeld, und zwar viel Fahrgeld, weglaufen sieht. Und nun kommt für den unruhigen, ungeduldigen, fiebrigen Studmann eine endlose Verhandlung, eine nicht aufhörende Rechnerei, bis er erfährt, was er eigentlich zu zahlen hat. Taxe mal soundso viel, mit dem Bleistift ausgerechnet, und dreimal verschieden ausgerechnet, und dann noch die Zuschläge …
Schließlich, endlich darf von Studmann über den Platz laufen, und nun muß er erst wieder mit dem Posten verhandeln, der gar nicht kapiert, was von Studmann eigentlich will, ob er eine Dame sucht oder das Spielerdezernat, ob er eine Anzeige machen oder verhindern will – –
Ach, der ruhige, der besonnene – ach, der überlegte Oberleutnant a. D. und Empfangschef a. D. von Studmann! Er hat völlig den Kopf verloren bei dem Gedanken, daß jemand seinen Freund und den jungen Pagel bei der Polizei wegen verbotenen Glücksspiels anzeigen will – und er hat doch selber noch vor einer halben Stunde den gleichen Gedanken gehabt –!
Schließlich aber bekommt er von dem Posten Erlaubnis zum Eintritt in das Präsidium, und es wird ihm auch beschrieben, wie er zu gehen hat, um zur »Nachtbereitschaft« zu kommen, denn die scheint sein Ziel zu sein, nicht das Spielerdezernat, wie er bisher glaubte. Doch er hat natürlich nicht genau auf die Beschreibung gehört und verläuft sich in dem ungeheuren, nur spärlich beleuchteten Gebäude. Er läuft über Gänge und Treppen, hohl läuft der Schall seiner Füße mit ihm. Er klopft an Türen, hinter denen keine Antwort erklingt, und an andere, von denen er ungnädig oder brummig oder verschlafen weitergeschickt wird. Er läuft und er läuft, und in seiner Müdigkeit ist es ihm, als liefe er in einem Traum, der nie enden wird. Bis er dann endlich doch vor der richtigen Tür steht und drinnen die scharfe Stimme des bösen Mädchens hört.
Und in demselben Augenblick fällt ihm ein, wie unsinnig es ist, daß er hier steht; daß er ja kein Wort zur Entkräftung der Anzeige sagen kann, nein, daß er sie noch bestätigen muß. Denn es
ist
ja ein Spielklub, und es
ist
ja verbotenes Glücksspiel. Daß er vielmehr loszulaufen hat, so schnell er nur kann, in den Spielklub und die beiden zu warnen und herauszuholen hat, ehe die Polizei kommt.
Wieder macht er kehrt, wieder irrt er durch das Präsidium und findet schließlich hinaus und schleicht schuldbewußt an dem Posten vorüber. Er weiß, daß er eilen muß, um der Polizei zuvorzukommen, und glücklicherweise fällt ihm ein, daß er hier direkt an der Stadtbahn ist und daß er mit der Stadtbahn schneller nach dem Westen kommt als mit jedem Auto. Und er läuft hinüber zum Stadtbahnhof und irrt dort herum an den geschlossenen Schaltern, bis ihm einfällt, daß in dieser Nachtstunde ja kein Zug mehr fährt. Daß er also doch ein Auto nehmen muß. Und er findet auch schließlich ein Auto, und aufatmend läßt er sich in die Polster sinken.
Aber gleich fährt er wieder hoch. Er kann sich der Ruhe nicht hingeben, er muß sitzen und lauschen –: hat nicht eben der Wagen des Überfallkommandos getrillert –?
Er sitzt, und er lauscht, und plötzlich kommt ihm das Aberwitzige seines Handelns heute den ganzen Abend über so recht zum Bewußtsein, und er sitzt starr da und denkt erschrocken: Bin ich denn das noch, Oberleutnant von Studmann, der im Kriege nie den Kopf verlor?
Und es ist ihm, als sei er sich völlig entglitten, als sei er nicht mehr er selbst, sondern ein völlig anderer, ein hassenswerter, zappliger, sinnloser, widersinniger anderer. Und er schlägt mit der Faust gegen seine Brust und sagt: »Verfluchte Zeit! Verdammte Zeit, die den Menschen sich selber stiehlt! Aber ich will raus aus alldem – ich gehe aufs Land, und ich werde wieder ein Mensch, so wahr ich von Studmann bin!«
Und dann sitzt er wieder und horcht, ob das Überfallkommando trillert, und denkt: Ich muß zuerst ankommen – ich kann sie doch nicht reinfallen lassen!
9
Siegessicher tritt Wolfgang Pagel, neben sich den Rittmeister, in den Spielsaal. Die siebzehn Jetons vom ersten Spiel hält er lose in der geschlossenen Hand. Er rüttelt sie leise, sie klappern mutwillig und fröhlich.
Während er auf den Spieltisch zugeht, wie so viele Male in dem letzten Jahr, ein köstlich trockenes, hohles Gefühl im
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