Wolf unter Wölfen
festgestellt werden, das würde ihm jede Lust am Spielen austreiben –! Er denkt immer noch, er sitzt im Kasino – und es sind doch lauter Gauner und Betrüger … Es wird ihn heilen!
Nichts, kein Wort war gegen diese Überlegungen zu sagen, sie waren richtig! Die Spielhalter wurden bestraft, der leichtsinnige Prackwitz aber mitsamt dem jungen Pagel, der ja jede Direktion verloren zu haben schien, sie wurden gewarnt. Und doch kämpfte von Studmann immer weiter um die Kraft zur Ausführung dieses Entschlusses. Es wehrte sich in ihm, das Richtige zu tun, weil es unkameradschaftlich war. Man brachte einen Freund nicht mit der Polizei in Berührung – selbst nicht in der besten Absicht. Er schob es hinaus, erst sollte einmal das Mädchen versorgt sein.
Er sieht ihr erwartungsvoll entgegen, aber sie hat wieder nichts. Sie flüstert lange mit dem Chauffeur.
»Det is zu weit, Frollein«, hört er den Mann sagen. »Ick hab Ablösung.«
Sie flüstert eindringlicher, schließlich gibt er nach.
»Aber, Frollein, wenn det wieder nischt is …«
Sie fahren, endlos, endlos. Verlassene, fast dunkle Straßen. Zerbrochene Laternen, aus Sparsamkeit brennt nur jede sechste oder achte.
Das Mädchen neben ihm flüstert automatisch vor sich hin: »O Gott – o Gott – o Gott –«, immer weiter, und nach jedem »o Gott« schlägt sie mit dem Kopf gegen die Wagenrückwand.
Von Studmann sieht sich in der Zelle eines Kaffeehauses den Hörer abnehmen: Bitte, geben Sie mir das Polizeipräsidium, Spielerdezernat …
Aber vielleicht haben sie nicht einmal eine Zelle, und er muß am Büfett telefonieren; die Leute werden denken, er ist ein gerupfter Spieler, der sich rächen will … Es sieht sehr unanständig aus, aber es ist das Anständige, es – ist – das – An – stän – di – ge!!! Studmann sagt es sich immer wieder. Früher hatte man es besser, da sah das Anständige auch anständig aus. Heute nachmittag war er auch anständig gewesen; er hätte diesen Bengel von einem Baron totschlagen können, und für seine Anständigkeit ist er betrunken die Treppe hinuntergerollt – verfluchtes Leben!
Wäre er doch erst mit dem geretteten Prackwitz auf dem Lande – in der Ruhe, im Frieden, in der lange währenden Geduld!
Endlich hält der Wagen, das Mädchen steigt aus, geht zögernd auf ein Haus zu, einmal stolpert sie und unterbricht ihren Weg mit Schelten. Von Studmann sieht im unsicheren, flackernden Licht nur dunkle Häuserfronten. Kein Lokal. Kein Mensch. Irgend etwas wie ein Laden, Drogerie scheinbar.
Das Mädchen klopft an ein ebenerdiges Fenster neben der Ladentür, wartet, klopft wieder.
»Wo sind wir?« fragt von Studmann den Chauffeur.
»Bei de Warschauer Brücke«, sagt der Mann unzufrieden. »Zahlen Sie die Taxe? Das kost ’ne Stange Gold!«
Studmann sagt ja.
Das Fenster im Erdgeschoß hat sich geöffnet, ein bleicher, dicker Kopf über einem weißen Nachthemd ist erschienen, er scheint zornig Verwünschungen zu flüstern. Das Mädchen fleht, bettelt, eine Art heulendes Klagen dringt bis zum Wagen.
»Der rückt ooch nischt raus«, sagt der Chauffeur. »Na ja, so mitten in de Nacht aus ’t Bette. Und Kittchen jibt es ooch dafür. So eene hält doch nich die Flappe. – Na also, hab ick’s doch jesagt!«
Der Mann hat wütend: »Nein! Nein! Nein!« geschrien und das Fenster zugeworfen. Das Mädchen steht noch einenAugenblick da; sein Weinen, trostlos und dabei doch böse, ist bis zum Wagen zu hören. Von Studmann, das Kindermädchen, hält sich bereit – er sieht das Mädchen schon fallen. Er steigt aus dem Wagen, will ihr zu Hilfe …
Aber da ist sie schon bei ihm, mit vielen, ganz schnellen, ganz kurzen Schritten.
»Was soll das?« ruft er …
Aber sie hat ihm schon den Spazierstock aus der Hand gerissen, läuft, ehe er ihn ihr wieder fortnehmen kann, zurück zum Fenster – alles wortlos, leise schluchzend. Dieses leise Schluchzen ist besonders gräßlich. Und nun hat sie mit einem Schlage die Fensterscheibe zertrümmert. Klirrend, laut scheppernd prasselt das Glas auf das Pflaster …
Und dazu schreit das Mädchen: »Schieber! Fettes Schwein!« schreit sie. »Gibst du den Schnee heraus?!«
»Rücken wir, Herr!« schlägt der Chauffeur vor. »Wenn das die Schupo nicht gehört hat! Sehen Se, jetzt werden die Fenster schon hell …«
Wirklich leuchten in den dunklen Hausfronten da und dort Fenster auf, eine schwache, hohe Stimme schreit: »Ruhe!«
Aber es ist schon Ruhe, denn die beiden dort am
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