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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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zerschlagenen Fenster flüstern nur miteinander. Jetzt schimpft der bleichgesichtige Mann nicht mehr, oder nur leise.
    »Jaha!« sagt der Chauffeur gedehnt. »Wer sich mit solchen erst mal einläßt, muß tun, was se wollen! Der is es doch ejal, ob die Schupo kommt und dem seinen Laden zumacht, die Hauptsache, sie kann weiter koksen. Fahren wir, Herr –?«
    Aber wieder einmal kann Studmann sich nicht zu so etwas entschließen. Wenn das Mädchen auch unverantwortlich, gemein gehandelt hat, er kann darum doch nicht losfahren und sie hier auf der Straße stehenlassen, wo jeden Augenblick um die nächste Ecke Polizei biegen kann. Und dann will er ja auch seinen Urteilsspruch: Bekommt sie ihr Koks, muß er in das nächste, noch offene Kaffeehaus. Wieder sieht er sich, den Hörer in der Hand: Bitte das Spielerdezernat der Kriminalpolizei …
    Es hilft eben alles nichts. Man muß Prackwitz retten, man hat seine Verpflichtungen …
    Nun kommt das Mädchen zurück, und von Studmann braucht gar nicht erst zu fragen, ob ihr Weg erfolgreich war. Schon aus der Art, wie sie ihn plötzlich ansieht, wie er wieder für sie da ist, wie sie ihn anspricht, ist unschwer zu erkennen: sie hat Koks bekommen und auch schon geschnupft.
    »Na?!« fragt sie herausfordernd und hält ihm seinen Stock hin. »Wer sind Sie denn? – Ach so, Sie sind der Freund von dem jungen Mann, der mich geschlagen hat. Nette Freunde haben Sie, muß ich sagen, die eine Dame in die Fresse hauen!«
    »Aber nein«, sagt von Studmann höflich. »Nicht der junge Mensch, der übrigens nicht mein Freund ist, hat Sie so geschlagen – das war ein anderer, einer von den beiden, die immer beim Spielhalter standen.«
    »Lockenwilli meinen Sie? Ach, erzählen Sie mir bloß keinen Stuß, ich bin gestern schon konfirmiert! Ihr Freund war das, der Sie mitgebracht hat – na, dem Jungen besorge ich es noch!«
    »Wollen wir nicht fahren?« schlägt von Studmann vor.
    Er kann es nicht leugnen, plötzlich ist er todmüde, müde dieses Frauenzimmers und seines frechen, pöbelnden Tones, müde des planlosen Umherirrens in dieser Riesenstadt, müde all der Unordnung, des Schmutzes, der Streiterei.
    »Natürlich fahren wir«, sagt sie sofort. »Denken Sie, ich tipple bis in den Westen?! Chauffeur, zum Wittenbergplatz!«
    Aber jetzt revoltiert der Chauffeur, und da er es nicht nötig hat, als Kavalier zu reden, und da der Herr sich bereit erklärt hat, die Fuhre zu bezahlen, nimmt er kein Blatt vor den Mund. Er sagt ihr gründlich, was er von so ’ner ollen Kokse denkt, die Fensterscheiben einschlägt; er verkündet, daß er »nicht einen Schritt weiterfahren wird, nicht ums Verrecken!«, er erklärt, er hätte sie längst rausgesetzt, wenn nicht der Herr wäre …
    Auf die Dame macht dies Geschimpfe wenig Eindruck. Schimpfen ist sie gewohnt, Streiten ist gewissermaßen ihr Lebenselement. Es macht sie frisch, und das eben genommene Gift beflügelt dabei ihre Phantasie, so daß sie dem brummigen, langsamen Chauffeur weit überlegen ist. Sie wird ihm die Fahrerpapiere fortnehmen lassen, sie wird ihn seinem Fuhrherrn melden, sie hat einen Freund, sie merkt sich seine Wagennummer – er soll sich bloß nicht wundern, wenn seine Reifen morgen früh zerschnitten sind –!
    Endloses, albernes Gewäsch, wüste Strohdrescherei, die Stimmen erheben sich lauter. Todmüde steht von Studmann dabei – er möchte eingreifen, ein Ende machen, er protestiert, aber er hat keinen Schwung, er kommt nicht auf gegen die, er ist zu müde. Wann hat dies ein Ende? Schon werden wieder Fenster hell. Schon rufen wiederum Stimmen um Ruhe …
    »Aber ich bitte doch sehr …«, sagt von Studmann schwach und wird wiederum nicht gehört.
    Plötzlich ist der Lärm vorüber, der Streit zu Ende, und das Geschwätz ist nicht einmal sinnlos gewesen: die Parteien haben sich gütlich geeinigt. Zwar wird nicht bis zum Wittenbergplatz gefahren, aber es wird eben doch noch »ein Schritt« gefahren, nämlich bis zum Alexanderplatz.
    »Da hab ich nämlich meine Garage dichte bei«, erklärt der Chauffeur und verhindert durch diese Erklärung, daß von Studmann weiter über dieses Ziel »Alexanderplatz« nachdenkt. Denn sonst hätte es ihm ja unbedingt einfallen müssen, daß am Alexanderplatz eben jenes Polizeipräsidium steht, dessen Spielerdezernat er jetzt, da das Mädchen seinen Willen hat, sofort anrufen muß.
    Aber von Studmann denkt an gar nichts mehr, er ist froh, daß er wieder in den Wagen steigen, daß er sich endlich

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