Wolf unter Wölfen
mal aufpassen, ob sie den Zug noch schafft. Er muß doch jeden Augenblick fahren. Man könnte sie hier reinbitten. Ich wüßte gerne, wie es ihr so geht. Ein prächtiges Mädchen – wie die gleich verstanden hat, ohne ein Wort!«
»Wie sieht sie denn aus? Alt – jung? Dick – dünn? Blond – dunkel?«
»Ach, der ist Berlin nicht gut bekommen! Nee, laßt es lieber! Nachher gibt es nur Gerede, und in Neulohe ist es auchpeinlich, wenn man sich dann wiedersieht. Schließlich ist sie nur die Tochter von meinem Leutevogt! Halten Sie immer darauf, Pagel: Abstand von den Leuten, keine Vertraulichkeiten, sich nicht mit ihnen einlassen! Verstanden?!«
»Jawohl, Herr Rittmeister!«
»Gottlob, wir fahren. So, setzt euch gemütlich. Brennen wir uns einen Tobak an – es ist doch herrlich, so aus dieser Dreckstadt in den Sommer hinauszufahren, was, Studmann? Was, Pagel?«
»Herrlich!« sagt Studmann – und fragt vorsichtig: »Eins ist mir noch eingefallen, Prackwitz –: weiß der Mann nicht deinen Namen?«
»Welcher Mann –?«
»Der Vermittler doch!«
»Ja, natürlich – wieso?«
»Dann wird er dir doch wohl schreiben und Ansprüche stellen – oder?«
»O verdammt! O verdammt! Daran habe ich überhaupt nicht gedacht! Das ganze Theater umsonst! Aber ich nehme den Brief nicht an, ich verweigere die Annahme, kein Mensch kann mich zwingen, den Brief anzunehmen!«
Der Rittmeister knirscht vor Wut.
»Es tut mir sehr leid, Prackwitz, aber das wird kaum was helfen …«
»Ja, jetzt tut es dir leid, Studmann! Aber entweder hättest du mir das unten im Bahnhof sagen müssen – oder gar nicht. Jetzt, wo es zu spät ist! Die ganze Fahrt ist mir verdorben! Und es ist so schönes Wetter!«
Wütend starrt der Rittmeister aus dem Abteil, in das schöne Wetter.
Ehe Studmann noch etwas antworten kann (und es ist fraglich, ob er große Lust hat zu antworten), öffnet sich die Tür vom Seitengang. Aber statt des Schaffners erscheint ein sehr elegantes junges Mädchen. Lächelnd legt sie die Hand an ihr Hütchen. »Befehl ausgeführt, Herr Rittmeister!«
Der Rittmeister springt auf, strahlend.
»Das ist ja großartig, Sophie, daß du den Zug doch noch geschafft hast! Ich machte mir schon Vorwürfe. – Meine Herren, dies ist Sophie Kowalewski, ich sagte Ihnen schon … Herr von Studmann, Herr Pagel. Die Herren sind – ähemm! – meine Gäste. – So, und nun setze dich hierher, Sophie, und erzähl uns ein bißchen. Zigarette gefällig? – Nein, natürlich nicht. Sehr vernünftig, junge Mädchen sollten überhaupt nicht rauchen, ich sage das auch stets meiner Tochter. Fräulein von Kuckhoff hat wie immer recht. Weiber weiblich – Männer männlich – und das meinst du doch auch, Sophie?«
»Natürlich, Herr Rittmeister, Rauchen ist ja auch so schädlich!« Und mit einem Blick auf die beiden Zuhörer: »Kommen die Herren nur zum Wochenende oder bleiben sie länger in Neulohe –?«
ZEHNTES KAPITEL
Friede der Felder
1
Es war nicht mehr dasselbe Büro!
Es waren noch die gleichen Regale aus häßlichem, gelbgrauem Kiefernholz, es war noch derselbe, ehemals schwarze Schreibtisch mit dem grünen, tintenfleckigen Filz, es stand da noch immer der viel zu große Geldschrank mit den gelb gewordenen Goldarabesken – aber nein, es war nicht mehr dasselbe Büro!
Die Fensterscheiben blitzten; saubere, helle Vorhänge waren aufgesteckt; den Möbeln hatte Öl einen sanften Glanz gegeben; der abgetretene, splittrige Fußboden war abgehobelt, gewachst und gebohnert worden, und über den Geldschrank war der Gutsstellmacher mit seinem Farbentopf geraten: silbergrau schimmerte sein Stahlpanzer, dunkelgrau waren seine Verzierungen geworden – nein, es war nicht mehr dasselbe Büro –!
Einmal hatte sich der Rittmeister von Prackwitz Gedanken darüber gemacht, ob er denn seinen Freund, den Oberleutnant von Studmann, auf solch ein verliedertes Gutsbüro hinter Lohnlisten und Kornabrechnungen würde setzen können. Hierüber hätte sich der Rittmeister keine Gedanken zu machen brauchen: auf ein liederliches Büro setzte sich Herr von Studmann nicht, Liederlichkeit trieb er aus, sanft, doch gnadenlos!
An einem Tag unter diesen ersten Tagen hatte Studmann einen Schlüssel vom Büro holen müssen – Frau Hartig aber stand auf einer Fensterbank und putzte die Scheiben.
Herr von Studmann blieb stehen und sah dies an. »Sie machen hier sauber?« fragte er sanft.
»Darauf können Sie sich verlassen!« sagte die Hartig kriegerisch,denn
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