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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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Tropfen Morgentaus auf die Spitzen ihrer Schuhe. Die schönen, säulenförmigen Stämme der alten Kiefern wanderten neben ihr her, rötlich von der Morgensonne angeschienen – und manchmal ging der schmale Pfad so eng zwischen zwei Stämmen durch, daß sie die Lenkstange festhalten mußte, um nicht auf einer Seite anzustoßen. Das Blaubeerkraut stand dicht, und die Beeren wurden schon blau. Das Waldgras war noch grün, die Wacholder standen schweigend und dunkel im helleren Unterholz, und es war ein ewiges Flattern und Zwitschern des kleinen Waldgevögels.
    Hier hatte Sophie ihre Kindheit verbracht, jedes Geräusch war ihr vertraut; das ferne, unbestimmte Sausen des Waldes, das näher, doch nie ganz nahe kommen konnte, das hatte sie schon als Kind gehört. Sonne über ihrem Haar wie damals Sonne über dem Haar des Kindes. Der rasche Blick im Vorübergleiten auf eine sich öffnende und schon wieder geschlossene Schneise, die ins Herz der Wälder zu führen schien. –
    Kein Mensch ist ganz schlecht, auch Sophie ist es nicht – eine Fröhlichkeit, die nichts mit der lärmenden Lustigkeit einer alkoholisierten Barnacht gemein hat, erfüllt sie. Es ist, als habe der Körper neues Blut empfangen, neue, fröhliche, heitere Gedanken strömen mit jedem frischen Atemzug durch sie; statt eines öden Schlagers summt sie das Lied vom Mai, der gekommen ist … Die Wolken – sie wandern – am himmlischen Zelt … Oh, fröhlich –!
    Plötzlich muß Sophie lachen. Es ist ihr eingefallen, wie ihre Mutter sie einmal zum Beerensammeln hierher in den Wald mitnahm. Damals war sie acht oder neun Jahre alt. Das mühselige Pflücken wurde ihr bald langweilig. Spielend, vor sich hin summend, verlor sie sich von der Seite der emsigen Mutter, zehnmal ließ sie sich rufen, der elfte Ruf erreichte sie nicht mehr. Leise singend, vor Glück lachend, verlor sie sich tief und tiefer in den Wald, ohne Ziel, nur aus Freude an der Bewegung ging sie weiter und weiter, in die kleinen Tälerhinein, in die von flachen Hügeln die Bäume wie stille Pilger hinabstiegen. Lange lauschte sie auf das Gluckgluck eines eiligen Baches. Noch länger sah sie einem Schmetterling zu, der auf einer vor Wärme summenden Waldlichtung von Blüte zu Blüte flog – und sie kam nicht in die Versuchung, nach dem gelben Buttervogel zu greifen.
    Schließlich gelangte sie in einen Buchenwald. Silbergrau und hoch ragten die Stämme. Das Grün oben war so fröhlich. Weit voneinander standen die Bäume, überall drangen Sonnenstrahlen hinein in den goldenen, warmen Schatten. Ihre bloßen Füße sanken ganz tief in das weiche, bräunlichgrüne Moos. Leiser singend, fast ohne zu wissen, was sie tat, streifte Sophie ihre Kleider ab. Dort lag das Kleidchen, dort über einem Baumstumpf der helle Fleck des Höschens, nun sank das Hemd in das Moos – und heller jubelnd tanzte das Kind nackt durch Sonne und Schatten. Es lachte – –
    Es war die Lust, dazusein, eine Freude, zu leben auf dieser Erde, zu wandeln im Licht – es war die Lebensfreude! Das kleine Herz in der mageren Brust zuckte und bebte. Wonne – Sonne – der uralte Reim, das ewige Gefühl war über das Kind gekommen. Tanzend hinein in immer neues Grün, immer andere Welt, immer tieferes Geheimnis. Sonne – Wonne –: Laute, wie die Vögel sie singen, abgebrochen, um einen Käfer in der verlorenen Radspur zu betrachten, wieder aufgenommen, ohne zu denken, wie du atmest …
    Es war die Lebensfreude, das Glück, dazusein – jenes Gefühl, nach dem die Erwachsenen ewig Heimweh haben, ob sie es nun wissen oder nicht. Glück – das sie später immer wieder suchen, wer weiß wo, keiner mag sagen wie, und das sie nie wieder finden werden, das mit der Kindheit entschwindet – nur in einem schwachen Abglanz später aufzufangen in der beglückenden Umarmung eines Geliebten, in der Freude über ein Werk. Einst besessen, schuldlos-schuldig verloren – vorbei! Vorbei!
    Leise singt das Rad über die Wege, die Kette knirscht. Wenn es über eine Wurzel geht, klappert das Schutzblech amHinterrad, und die Sattelfedern seufzen. Sonne – Wonne – versucht Sophie jetzt zu singen, aber es gelingt ihr nicht. Sie muß daran denken, wie die warme Sonne plötzlich kalt geworden war und der heimliche Wald unheimlich. Sie hatte weinen müssen. Sie war umhergeirrt. Alles war feindlich: stechendes Geäst, spitze Steine auf dem Wege, ein von einer Viehkoppel herüberwehender Bremsenschwarm. Schließlich hatte sie ein Waldarbeiter, der alte

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