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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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Hofert, gefunden …
    »Schämst du dich denn gar nicht, Fieken, so nackig herumzulaufen?« hatte er gescholten. »Du bist doch ein Mensch, kein Ferkel …«
    Er hatte sie zur Mutter zurückgebracht. Ach, das Geschimpfe der Mutter! Das stundenlange Suchen nach den Kleidern, die dann doch nicht gefunden wurden, Schelte und Schläge. Die Heimkehr ins Dorf, mit dem Kopftuch der Mutter um die Hüften. Das Gespött der andern Kinder, die weisen Bemerkungen der Alten: »Paß auf, Kowalewski. Das Mädchen macht dir noch einmal Kummer.«
    Hastiger tritt Sophie die Pedale, sie läßt die Klingel schnarren und schmettern in die Waldstille hinein. Sie schüttelt den Kopf, trotzdem kein Bremsenschwarm von der nächsten Koppel sie umschwirrt. Sie will die Gedanken aus dem Kopf schütteln. Kein Mensch kann sagen, wie er wurde, was er wurde. Aber manchmal bekommen wir einen Zipfel vom Wissen zu erfassen, ein Stück Weg, ach, ein Stücklein nur liegt klar hinter uns … Dann werden wir böse mit uns, es ist uns nicht recht, wir schütteln die quälenden Gedanken aus dem Kopf. Wir sind recht so, wie wir sind; und daß wir nicht anders geworden sind, daran haben wir keine Schuld. Darüber brauchen wir nicht nachzudenken! –
    Schneller und schneller fährt das Rad, Gestell um Gestell, Schneise um Schneise gleiten vorbei. Sophie fährt nicht nach Birnbaum zu Emmi. Sie fährt ins Zuchthaus, den Hans Liebschner, einen rechtskräftig verurteilten, bereits vorbestraften Hochstapler, zu besuchen. Das Leben ist kein Sonnentag, es ist eine höchst listenreiche, hinterhältigeAngelegenheit, und wer die andern nicht hereinlegt, den legen die herein! Sophie hat keine Zeit, sich Träumereien hinzugeben; sie muß sich überlegen, wie sie als Hansens Schwester Besuchserlaubnis bekommt – ohne Ausweispapiere!
    Jetzt hat Sophie die Lippen fest geschlossen, ihre Augen haben einen harten, trockenen Glanz. Sie hat keine Zeit mehr, den Wald zu sehen. Sie überlegt! Wohl hat sie sich auf einem Bogen vom Christlichen Hospiz bescheinigt, daß sie die Köchin Sophie Liebschner in Diensten der Hospizverwaltung ist. Aber sie ist sich klar darüber, daß diese schlecht und vielleicht nicht einmal orthographisch geschriebene »Urkunde« vor keinem Beamtenauge Bestand hat. Nach dem, was Vater erzählt hat, wäre der weggelaufene kleine Inspektor Meier gerade der Richtige gewesen, ihr irgendeinen Schein mit dem Gutsvorsteherstempel zu geben. Aber darin hatte sie nun einmal Pech, der Kerl war ihr nicht zu Gesichte gekommen. Und die beiden andern, die im Abteil mit ihr hierhergefahren waren, die taten einem Mädchen solchen kleinen Gefallen nicht, das sah man sofort. Die waren viel zu höflich zu ihr gewesen, genau wie die Kavaliere an der Bar, die so höflich-abweisend sind, bloß damit sie einer Dame keinen Whisky zu bezahlen brauchen!
    Sophies Gedanken gehen hin und her, aber sie sind darum nicht etwa trübe. Bisher hat sie noch immer Glück gehabt im Leben, und sie weiß sehr genau, welche Wirkung ein richtiger Blick zur rechten Zeit haben kann. Hübsche Mädchen haben eben immer Glück.
    Sophie hat es also auch. Es ist großer Besuchstag im Zuchthaus, über hundert Anverwandte stehen vor dem eisernen Tor, Sophie drängt sich dazwischen, mit dem großen Schwung wird sie eingelassen, Wachtmeister laufen hin und her, Papiere werden nachgesehen, Fragen werden gestellt, und sachte, sachte, Schrittchen um Schrittchen mogelt sich Sophie aus der Gruppe der Ungeprüften unter die Geprüften.
    Schon ist sie mit im Besuchszimmer, auf der einen Seite des Gitters stehen die Anverwandten, auf der andern die Gefangenen.Das spricht und redet durcheinander, ohrenbetäubend! Die beiden armen Wachtmeister, die dastehen und jedes Wort beaufsichtigen sollen, können nur schlecht ihre Aufgabe erfüllen. Wie herrlich könnte Sophie jetzt mit ihrem Hans schwatzen, alles, was sie auf dem Herzen hat. Aber ein Hans Liebschner ist natürlich nicht im Besuchszimmer, und sie kann ihn auch nicht reklamieren, denn er steht natürlich nicht auf der Liste der besuchten Gefangenen!
    Aber hier zeigt es sich wieder einmal, wie gut es ist, daß Liebschner ein Hochstapler ist, also kein gewalttätiger oder rechthaberischer Mensch, sondern ein mit allen Salben gesalbter Schlaukopf, also ein fügsamer, artiger Gefangener, das Muster jeder Hausordnung. Darum ist der Hans ja schon Kalfaktor geworden, und als Kalfaktor hat er auf den Gängen zu tun, und von den Gängen aus kann er die Besucher kommen

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