Wolf unter Wölfen
sehen. Ein Rabenauge ist scharf: Sophie bleibt Sophie. Ja, wenn der Hans keinen Stein im Brett bei seinem Stationswachtmeister hätte! Aber die Stahlsäge ist richtig gefunden worden, und drei Gitterstäbe waren bereits durchgesägt. So etwas rechtzeitig zu entdecken ist ein Ruhmesblatt für jeden Stationswachtmeister. Der ist belobt worden und ist darum seinem Kalfaktor wohlgesinnt – zumal er das Versprechen mit dem Arbeitskommando noch nicht hat einlösen können, weil noch kein Kommando ausgesandt ist seitdem.
So wird Sophie plötzlich von einem bärtigen, älteren Wachtmeister herangewinkt. »Kommen Se man, Frollein!« In eine enge Zelle ganz voll schmierigen Tauwerks wird sie hineingeschoben und sogar eingeriegelt, und wie sie sich gerade tausend Gedanken macht, ob denn ihr Einschmuggeln entdeckt ist und sie »so« gestraft werden soll, und wie sie gerade klopfen will, da klirrt der Riegel wieder, und herein schiebt sich in einer ekelhaften Montur ihr Hans, sehr grau geworden, Schatten unter den Augen, die Nase spitz – aber das spitzbübische Lächeln, das ist ganz der alte Hans!
Der Wachtmeister hebt drohend den Finger. »Nun macht aber keine Dummheiten, Kinderchen!« Aber er sieht dabeiSophie so wohlwollend schmunzelnd an, als habe er selbst nichts dagegen, mit ihr Dummheiten zu machen.
Dann klirrt wieder der Riegel, und schon ist sie in den Armen von Hans. Es ist wie ein Sturm, ein Orkan. Es vergeht ihr Hören und Sehen, in den Ohren saust es, und vor den Augen verschwimmt es. – Oh, das nahe, gute, liebe Gesicht –! Der vertraute Geruch! Der Geschmack auf den Lippen! Seufzer und leiser Schrei, ein aufflatterndes Lachen, das schon erstickt, ein paar Worte … ach, nur dies: »Oh, du –! Ach, du –! Oh, selig –!« Kaum haben sie Zeit, ein paar Worte miteinander zu reden:
»Was ich mich gesehnt habe!«
»Ich komme raus, auf Erntekommando! Da haue ich ab!«
»Ach, du – wenn du zu uns kämst!«
»Wohin?«
»Nach Neulohe! Ich bin bei den Eltern. Vater sagt, wir brauchen ein Erntekommando.«
»Mit dem nächsten komme ich bestimmt raus. Kannst du nicht ein bißchen Druck bei euch dahinter machen?«
»Vielleicht. Will mal sehen. Gott, Hans …«
»Das hat gutgetan! Ein halbes Jahr …«
Langsam, zufrieden, glücklich geht Sophie über das bucklige Pflaster des Städtchens Meienburg. Ihr Rad läßt sie ruhig erst mal in der kleinen Kneipe stehen. Sie geht in das beste Hotel von Meienburg, Mittag zu essen, in den »Prinzen von Preußen«. Dort essen die Herren Großagrarier; als Kind hat sie oft davorgestanden und das schwarze Wappenschild mit den vergoldeten Zieraten bestaunt. Nun geht sie erwachsen durch das Lokal, sie setzt sich draußen auf die Terrasse. Das Hotel ist fast leer, am Sonntag essen die Landwirte zu Haus, am Sonntag gibt ihnen kein landwirtschaftlicher Verein, kein Viehhandel den Vorwand, ihren Familien auszureißen.
Langsam, genußsüchtig ißt Sophie. Sie ißt alles auf, was sie bekommt. Sie trinkt dazu eine halbe Flasche Rheinwein. Jetzt hat es wieder einen Sinn, sich gut zu nähren – vielleichtkommt Hans nach Neulohe. Es muß klappen! Zu dem Kaffee läßt sie sich eine große Schale Kognak bringen, langsam raucht sie Zigarette um Zigarette. Von dem Flüßchen, das unten an der Terrasse vorüberfließt, klingt das trocken hölzerne Geräusch der Ruder in ihren Dollen herüber. Man sieht die Rudernden nicht, aber in der Mittagshitze hört man deutlich ihre Stimmen.
»Mach ein bißchen rascher, Erna! Wir wollen doch noch baden …«, klingt es jetzt herüber.
Plötzlich weiß Sophie, daß auch sie baden möchte, baden und in der Sonne liegen, sich braten lassen. Sie möchte heute ihrem Körper nur Gutes tun. Aber nicht hier, hier wimmelt es sicher von Kerlen, das ist kein Baden! Der Affe vom Nachbartisch glotzt sich schon seit einer halben Stunde die Augen aus dem Kopf: daß so ein Mann nie kapiert, daß man nicht gerade auf ihn gewartet hat.
Sophie denkt daran, daß sie keinen Badeanzug mithat. Nicht einmal daheim einen im Koffer besitzt – aber in Meienburg kann ein Badeanzug auch am Sonntag kein Problem sein. Sie zahlt, steht auf und stößt im Hinausgehen dem glotzenden Herrn versehentlich die Kreissäge vom Kopf, in die Käseschüssel hinein. »Entschuldigen Sie tausendmal!« flötet sie hold den langsam rot anlaufenden Herrn an und enteilt.
Natürlich liegt das kleine Handarbeitsgeschäft noch da, wo es vor fünf Jahren lag, wo es vor zehn Jahren lag, wo es
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