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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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seinem gewöhnlichen lehrhaften Ton. »Das ist so!«
    Weio sah ihren Vertrauten, ihren einzigen Vertrauten an, als sei er ein heilbringender Prophet.
    Räder nickte voller Bedeutung. »Das sind körperliche Vorgänge«, erklärte er, »das ist das körperliche Verlangen. Ich kann Ihnen ein Buch darüber geben, es ist von einem Arzt verfaßt, einem Sanitätsrat. Darin ist das alles genau beschrieben, wieso es kommt und wo es seinen Sitz hat und wie man es heilt. Es heißt Ausfallserscheinungen oder Abstinenzerscheinungen.«
    »Ist das wirklich so, Hubert? Steht das in dem Buch? Du mußt mir das Buch bringen, Hubert!«
    »Das ist so! Das hat mit dem – Herrn gar nichts zu tun!« Hubert kniff die Augen ein und beobachtete die Wirkung seiner Worte. »Das ist bloß der Körper – der Körper hat Hunger, gnädiges Fräulein!«
    Weio war fünfzehn Jahre, und sie mochte so leichtsinnig und so genußsüchtig sein wie nur ein Mädchen dieser Tage, über die Liebe hatte sie noch ihre Illusionen, und mit dem einen zerrissenen Schleier war nicht jeder holde Wahn gewichen. Langsam nur begriff sie die volle Tragweite der Enthüllungen Räders, sie zuckte zusammen wie von einem Stich, sie ächzte.
    Dann aber bäumte sie sich auf, sie fuhr auf den Diener los: »Pfui! Pfui!« schrie sie. »Sie sind ein Schwein, Räder, Sie beschmutzen alles! Gehen Sie weg, rühren Sie mich nicht an, fort aus meinem Zimmer, auf der Stelle …!«
    »Aber bitte sehr! Gnädiges Fräulein! Ich bitte sehr um Ruhe, die gnädige Frau kommt! Lügen Sie etwas; wenn Herr Rittmeister es erfährt, ist der Leutnant verloren …«
    Und er glitt aus dem Zimmer, huschte in die nebenan liegende Schlafstube der gnädigen Frau, stand hinter der Tür … Er hörte den eiligen Schritt, nun klappte die Tür zu Violets Zimmer …
    Weiter lauschte er, die Stimme der gnädigen Frau wurde vernehmbar, Violet schluchzte laut …
    Das ist das Schlauste, was sie tun kann, dachte er zufrieden. Heulen. – Es war wohl ein bißchen zu früh und zu kräftig. Na, wenn sie eine Woche ohne Nachricht vom Leutnant bleibt …
    Er hörte den Schritt des Rittmeisters auf der Treppe, tief drückte er sich zwischen Bademantel und Morgenrock der gnädigen Frau … So verächtlich der Rittmeister in seiner Dummheit und Hitze war, er blieb fast der einzige, vor dem man Angst haben mußte. Er war imstande, einen Menschen durch die Scheiben aus dem Fenster zu werfen. Er war ein Vulkan, eine Naturkatastrophe. Keine Klugheit half gegen ihn …
    »Ich sage dir, du übertreibst es«, hörte er den Rittmeister mit zorniger Stimme sagen. »Das Kind ist einfach nervös. Es muß an die frische Luft. Komm, Weio, gehen wir ein bißchen spazieren …«
    Räder nickte. Durch Badezimmer und Schlafzimmer des Rittmeisters schlüpfte er auf die Treppe und huschte hinab in sein kahles Kellerzimmer. Er schloß den Schrank auf. Mit einem zweiten Schlüssel öffnete er den Handkoffer, aus dem er das zerlesene Buch nahm: »Was ein junger Mann vor und von der Ehe wissen muß«.
    Er wickelte es in ein Stück Zeitungspapier, er würde es abends unter Violets Kopfkissen legen. Vielleicht nicht grade heute oder morgen. Aber etwa übermorgen. Er war überzeugt, Weio würde es lesen, trotz des Ausbruchs eben.

6
    Sophie Kowalewski, die Exzofe der Gräfin Mutzbauer, hatte an diesem Sonntagmorgen zu ihren Eltern gesagt: »Ich fahre ein bißchen zur Emmi nach Birnbaum. Wartet nicht mit dem Essen auf mich, vielleicht komme ich erst am Abend wieder.«
    Der alte, weiche Vater hatte mit dem Kopf genickt und nur gebeten: »Fahr die Chaussee, Fieken, nicht den Waldweg. Es treiben sich jetzt soviel Kerle in der Gegend herum.«
    Und die ungeheuerlich fette, nur noch fressende, nur noch verdauende Mutter hatte gesagt: »Die Emmi hat ’ne großartige Partie gemacht. Sie haben schon eine Kuh und zwei Zicken. Drei Schweine schlachten sie ein. Die brauchen keinen Kohldampf zu schieben. Da gibt’s immer was, wovon man abbeißen kann. Hühner und Gänse haben sie auch. Wenn du mal solch Schwein hättest –«
    Sophie war längst draußen. Von der Freundin, die ihr das Rad lieh, ließ sie gebührend das blaue Kostüm bewundern, schwang sich auf den Sattel, fuhr klingelnd langsam durchs Dorf, damit auch alle sie sähen, und bog in den moosigen, stillen Waldweg ein, auf dem das Rad lautlos fuhr wie auf Samt. Der Weg neben den von Holzfuhren zerfahrenen Gleisen war fest und sehr schmal. Heidekraut und Ginsterstreiften oft die Pedale und warfen

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